Ewigkeit
vermutlich selbst bewaffnet, und es könnten mehr in der Nähe sein als die zwei, die sie bemerkt hatte. Und selbst wenn sie sich erfolgreich gegen die Kinder wehren konnte, standen die Chancen schlecht, diesen betriebsamen Bahnhof verlassen zu können, ohne festgenommen zu werden.
Der Blick des Jungen hatte sie fast erreicht. Starr vor Schreck erkannte sie, dass ihre einzige Hoffnung darin bestand, dass er sie nicht erkannte. Angesichts ihres lädierten Zustands und der fremden Kleidung wäre das gar nicht so unwahrscheinlich. Sie hatte sich kaum an diesen Strohhalm geklammert, als sie sich auch schon zwang, ihn wieder loszulassen, denn der Junge suchte ganz offenkundig nach Auger und würde sich nicht durch ein paar oberflächliche Veränderungen irritieren lassen.
Augers Hand griff unter dem Tisch nach der Pistole. Vielleicht würde sie sie doch benutzen müssen, ungeachtet der Konsequenzen.
Der Junge schaute sie an – oder eher durch sie hindurch. Sie fühlte sich, als wäre ein Suchscheinwerfer über sie hinweggestrichen. Die langsame Rundum-Bewegung des Kopfes setzte sich fort, während seine Aufmerksamkeit weiterwanderte. Der Kopf hatte sich vom Ausgangspunkt des Bogens fast um neunzig Grad gedreht, und alles sah danach aus, dass die Bewegung weiterging, auch wenn sie für ein menschliches Kind eine Unmöglichkeit darstellte. Auger fragte sich, wie lange es noch dauern würde, bis jemand anderem der merkwürdige Junge auffiel, doch so weit sie feststellen konnte, hatten die anderen Gäste des Restaurants nichts Ungewöhnliches bemerkt.
Dann stoppte der Suchschwenk und bewegte sich zurück, bis der Junge wieder in Augers Richtung blickte. Diesmal spürte sie, dass sie im Brennpunkt der Aufmerksamkeit stand, dass er sich auf die Nische konzentrierte, in der sie saß. Etwas veränderte sich kaum merklich in der gepuderten und verschmierten Maske seines Gesichts, ein winziges Auseinanderziehen des Mundes, das auf ein Gefühl des Triumphs hindeuten mochte.
Der Kopf des Jungen schwenkte zur Restauranttür zurück, dann öffnete er den Mund, um einen kurzen Schrei auszustoßen. Für einen Unbeteiligten musste es sich wie ein bedeutungsloser Ruf anhören, der an einen Jodler erinnerte, vielleicht ein Anzeichen, dass der Junge geistig unterentwickelt war. Aber Auger wusste, dass der Schrei mit akustischen Informationen voll gepackt war, die das zweite Kind mühelos entziffern konnte.
Mit steifen Knien, wie eine Marionette, die von einem unerfahrenen Spieler geführt wurde, setzte sich der Junge in Richtung von Augers Nische in Bewegung. Sie versuchte, überhaupt nicht zu reagieren, hielt den Blick auf die Uhr gerichtet und hoffte, dass der Junge es sich anders überlegte, bevor er sie erreicht hatte. Das Jo-Jo hatte er inzwischen in die Tasche gesteckt und hielt nun etwas Schimmerndes in der Hand, klar wie ein Spiegel und scharf wie Glas.
Eine Hand legte sich auf die Schulter des Jungen. Er ruckte mit dem Kopf herum und sah den Erwachsenen voller Zorn und Verständnislosigkeit an, das Gesicht verzerrt, sodass sich nun die letzten Reste der Schminke lösten, die sein wahres Aussehen übertünchte. Die Hand ragte aus dem dunklen Ärmel eines Anzugs, der zu einem der Kellner gehörte. Selbst für einen Erwachsenen war der Mann recht groß, sodass er den Jungen haushoch überragte. Auger versuchte weiterhin, die Szene nicht direkt zu beobachten, und sah, wie sich der Mann herabbeugte, um seinen schnurrbärtigen, fettnackigen Kopf etwa auf die Höhe des Jungen zu bringen. Der Mann sagte etwas, seine Lippen bildeten Worte, die durch den Raum nicht zu verstehen waren, aber er wies mit der Hand dezent zum Ausgang. Da blitzte etwas Silbriges auf, und der Kellner trat mit dem Ausdruck milder Überraschung zurück, als hätte der Junge ihn auf schlagfertige und sehr erwachsene Weise beleidigt.
Der Kellner stürzte rückwärts auf die Kuchenauslage und kam auf der verzinkten Oberfläche zu liegen. Im reinen Weiß seines Kummerbunds entstand ein kleiner roter Stern, wo der Junge ihm eine Stichverletzung zugefügt hatte. Der Mann legte die Finger auf die Wunde und hob sie zum Gesicht, um die geröteten Kuppen zu betrachten. Er wollte etwas sagen, doch die Worte blieben ihm in der Kehle stecken. Um ihn herum ließen einige Gäste ihr Besteck fallen, sprangen auf und unterhielten sich in besorgtem Tonfall. Ein Mann brüllte etwas, und eine Frau schrie. Ein Glas landete auf dem Boden und zersplitterte.
Der Junge war
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