Ewigkeit
Augen gesehen.«
»Wenn das so ist, lässt Ihre Menschenkenntnis sehr zu wünschen übrig. Ich hätte sie benutzt, wenn sich die Notwendigkeit ergeben hätte.«
»Aber es hätte Ihnen keinen Spaß gemacht.«
Es klopfte an die Scheibe. Eine Stimme mit Pariser Akzent sagte schroff: »Öffnen Sie das Fenster!«
Sie schob den Vorhang hoch und zog am Lederriemen, mit dem sich das Fenster aufklappen ließ. »Möchten Sie meine Fahrkarte sehen?«
»Nur Ihren Ausweis«, sagte einer der Beamten.
»Hier.« Auger reichte ihre Papiere durch den Fensterspalt. »Was hat das zu bedeuten? Ich dachte, ich müsste mich erst später ausweisen.«
»Ist jemand bei Ihnen im Abteil?«
»Ich glaube, das hätte ich bemerkt.«
»Ich habe gehört, wie sie gesprochen haben.«
Mit einer Beiläufigkeit, die sie selbst überraschte, erwiderte Auger: »Ich bin die Liste der Dinge durchgegangen, die ich in Berlin erledigen muss.«
Der Mann stieß ein unbestimmtes Brummen aus. »Sie sind ganz allein in diesem Zug, vor allen anderen Fahrgästen. Warum hatten Sie es mit dem Einsteigen so eilig?«
»Weil ich müde bin und mich nicht mit irgendwem streiten möchte, wer die richtige Fahrkarte für dieses Abteil hat.«
Der Mann dachte über ihre Antwort nach, dann sagte er: »Wir suchen nach einem Kind. Haben Sie irgendwo Kinder herumlungern sehen, die ohne Begleitung Erwachsener waren?«
In diesem Moment wurde der Beamte von einer anderen Stimme abgelenkt. Es war Floyd, der jetzt draußen war. Er sprach in leisem, eindringlichem Französisch mit dem anderen Polizisten, aber viel zu schnell für sie, sodass sie im Lärm des Bahnhofs kaum etwas verstand. Sie hörte nur »Kind« und ein paar andere Wörter heraus. Der Polizist stellte weitere Fragen, zunächst in skeptischem Tonfall, dann mit zunehmendem Nachdruck. Es folgte ein letzter erhitzter Wortwechsel, dann hörte sie Schritte, die sich eilig von ihrem Waggon entfernten. Wenige Sekunden später ertönte der schrille, ein paarmal wiederholte Ton einer Polizeipfeife.
Wenig später klopfte Floyd wieder an die Tür zu ihrem Abteil. »Lassen Sie mich rein! Ich habe Ihnen gerade die Polizei vom Hals geschafft.«
»Dafür können Sie sich meiner unsterblichen Dankbarkeit gewiss sein, aber jetzt sollten Sie endlich diesen Zug verlassen.«
»Warum interessieren Sie sich so sehr für Berlin? Warum interessieren Sie sich für den Kaspar-Vertrag?«
»Je weniger Sie mich fragen, Floyd, desto einfacher wird es für uns beide sein.«
»In diesem Vertrag geht es um etwas Unangenehmes, nicht wahr? Etwas, das Sie verhindern wollen.«
»Wie kommen Sie darauf, dass ich nicht genau das Gegenteil erreichen möchte?«
»Weil Sie ein nettes Gesicht haben. Weil ich in dem Augenblick, als Sie in mein Büro traten, entschieden hatte, dass ich Sie mag.«
»Wie ich bereits sagte: Sie scheinen nicht der beste Menschenkenner zu sein.«
»Ich habe eine Fahrkarte nach Berlin«, sagte er. »Und ich kenne ein gutes Hotel am Kurfürstendamm.«
»Wie praktisch!«
»Sie haben nichts zu verlieren, wenn Sie mich mitfahren lassen.«
»Und nichts zu gewinnen.«
»Silberregen«, sagte Floyd.
Er sagte es so beiläufig, dass sie im ersten Moment dachte, sich verhört zu haben. Das war die einzige logische Erklärung. Er konnte unmöglich gesagt haben, was sie gehört zu haben glaubte … oder?
Sie sprach noch leiser als zuvor. »Was?«
»Ich sagte ›Silberregen‹. Ich würde gerne wissen, ob das für Sie irgendeine Bedeutung hat.«
Sie warf einen verzweifelten Blick zur Decke und öffnete die Tür zum Gang. Floyd stand mit dem Hut in der Hand da und sah sie mit Dackelblick an.
»Was Sie gerade gesagt haben …«, begann sie.
»Es hat für Sie eine Bedeutung, nicht wahr?«, bohrte er nach.
»Schließen Sie die Tür hinter sich.«
Eine Trillerpfeife ertönte. Im nächsten Moment setzte sich der Zug mit einem Ruck in Bewegung und kroch aus dem Bahnhof.
Floyd zog die Postkarte hervor, die er behalten hatte. Er gab sie Auger und ließ sie von ihr inspizieren. Sie schaltete die Leselampe ein und sah sie sich genau an. Der Zug ratterte und ruckelte, dann wurde er schneller, nachdem er das Labyrinth der Weichen außerhalb des Bahnhofs hinter sich gelassen hatte.
»Es bedeutet etwas, nicht wahr?«
Die Postkarte war eine Botschaft von Susan White an Caliskan. Offenkundig war sie niemals abgeschickt worden. Und genauso offenkundig hatte sie etwas mit Silberregen zu tun. Aber Silberregen war eine Waffe aus der
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