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Ewigkeit

Ewigkeit

Titel: Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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aufzusuchen und so gut wie möglich den Schmutz zu entfernen, den sie sich im U-Bahntunnel zugezogen hatte. Als sie fertig war, hatte sich das Stück Karbolseife in ein Brikett verwandelt, und das Waschbecken schien von einer Gruppe Bergarbeiter nach der Schicht in der Grube benutzt worden zu sein. Aber nun sah sie wieder menschlich aus und fühlte sich auch so, und als sie noch ein paar von Gretas Sachen angezogen und ihre eigene Dreckwäsche in die Tasche gestopft hatte, konnte sie sich sogar vorstellen, dass sie nicht so leicht wiedererkannt wurde. Da sie bis zur Abfahrt des Zuges immer noch über eine Stunde warten musste, war Auger in Versuchung, den Bahnhof ganz zu verlassen und die relative Anonymität eines Bistros oder einer Brasserie aufzusuchen. Seit dem Frühstück hatte sie nichts mehr gegessen, und allmählich machte sich ihr Hunger bemerkbar. Aber sie wusste, dass sie, wenn sie den Gard du Nord verließ, vielleicht nicht mehr den Mut zur Rückkehr aufbrachte, ganz gleich, wie viel Geld sie für den Schlafwagen ausgegeben hatte. Stattdessen begnügte sie sich mit einem Restaurant im Bahnhof, wo sie im verspiegelten Labyrinth eine abgeschiedene Nische fand, in der sie das Kommen und Gehen beobachten konnte, ohne selbst im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Sie bestellte sich ein Sandwich und ein Glas Wein und zwang die Zeiger der Uhr im Restaurant, ganz schnell auf halb sieben vorzurücken.
    Durch die Glastüren des Restaurants sah sie auf der anderen Seite der Menschenansammlung einen Mann im grauen Regenmantel und mit Hut, der an einem Zeitungsstand stehen blieb. Während er in der Hosentasche nach Kleingeld kramte, blickte er sich um, wie ein Tourist, der den Bahnhof zum ersten Mal sah. Nachdem er eine Zeitung gekauft hatte, drehte er sich um und setzte sich eine Brille mit runden Gläsern auf die Nase. Er schlug die Zeitung auf und begann darin zu lesen. Es war nicht Floyd.
    Augers Bestellung traf ein. Sie schnupperte am Wein, kippte die Hälfte des Glases hinunter und ließ sich zum ersten Mal an diesem Tag von einer vorübergehenden Ruhe und Entspannung durchfließen. In Kürze würde sie mit dem Nachtzug unterwegs sein und sicher in ihrer Koje liegen. Es wäre kaum gefährlicher, als in Paris zu bleiben – vielleicht sogar weniger gefährlich, da sie sich immer weiter von den Kriegsbabys entfernen würde. Wenn sie in Berlin war, würde sie die Adresse der Fabrik aufsuchen und schauen, was sich aus dieser Spur ergab. Auf gar keinen Fall wollte sie sich in Gefahr begeben oder irgendetwas tun, wodurch sie ihre wahre Identität offenbaren könnte. Selbst wenn sie am Ende nicht mehr hatte als eine Beschreibung des Werksgeländes, hätte sie etwas Nützliches erreicht. Caliskan würde sie zweifellos tadeln, weil sie die geplante Zeitdauer ihrer Mission überschritten hatte, während er ihr unter vier Augen für ihre Leistungen dankte. Und wenn sie der Spur folgte, der Susan White nicht mehr hatte nachgehen können, würde sie mehr von dieser Welt sehen als in der Abgeschiedenheit eines Pariser Hotelzimmers, wo sie vor jedem Schatten in Deckung gehen würde.
    Ein anderer Mann im Regenmantel stieß die Tür zum Restaurant auf. Er trug keinen Hut, aber für einen Moment – als der Dampf von der Kaffeemaschine ihr die Sicht nahm – hätte es durchaus Floyd sein können. Doch er war kaum eingetreten, als auch schon eine schlanke Frau in einem engen smaragdgrünen Kleid von einem Tisch aufstand und sich die beiden wie heimliche Geliebte küssten, die sie nach Augers Einschätzung vermutlich auch waren. Der Mann hatte ein Geschenk für die Frau, das sie mit atemloser Aufregung öffnete. Es war irgendein Schmuckstück. Er bestellte etwas zu trinken, dann hielten die beiden zehn Minuten lang Händchen, bis der Mann sie zum Abschied küsste und wieder im Treiben des Bahnhofs verschwand. Eine Minute später hörte Auger das Pfeifen eines abfahrenden Zuges und wusste mit absoluter Sicherheit, dass der Mann ihn bestiegen hatte und zu seinem Haus auf dem Land und seiner Familie unterwegs war. Das zehnminütige Rendezvous war genauso Routine, wie sich die Zähne zu putzen und seine Frau morgens zum Abschied zu küssen. Für einen schwindelerregenden Moment fühlten sich die Menschen um sie herum genauso wirklich wie alle anderen an, die sie kannte, und es kostete sie eine bewusste Willensanstrengung, ihre Leben wieder auf etwas Einfacheres zu reduzieren, etwas wie ein Echo oder ein Nachbild.
    Auger sah auf

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