Ewigkeit
methodischer, automatischer Langsamkeit ging, machten die anderen Leute ihm Platz. Sie bewegten sich zur Seite, als wäre ein magnetischer Abstoßungseffekt im Spiel. Der kleine Junge trug ein rotes T-Shirt und kurze Hosen, weiße Socken und schwarze Schnallenschuhe, und sie wusste, dass sie ihn schon einmal gesehen hatte, vor gar nicht allzu langer Zeit. Er hatte ein Jo-Jo dabei gehabt, erinnerte sie sich, doch nun hatte er sich eine Spielzeugtrommel umgehängt, auf der er den hartnäckigen Rhythmus schlug, der ihre Aufmerksamkeit angezogen hatte. Der Takt war wie ein komplizierter Herzrhythmus. Er änderte sich nie, wurde weder langsamer noch schneller.
Sie fühlte sich durch den kleinen Jungen entnervt und drängte sich durch den Strom der Passanten. Allmählich verklang das Trommeln hinter ihr. Als sie es nicht mehr hörte, wagte sie wieder einen Blick über die Schulter und sah nur noch eine dichte Masse aus Kauflustigen und Spaziergängern. Vom kleinen Jungen mit der Trommel war nichts mehr zu erkennen. Sie behielt ihren schnellen Schritt bei, und als sie sich etwas später erneut umschaute, war immer noch nichts von ihm zu sehen.
Doch die Stimmung auf dem Boulevard hatte sich geändert. Es lag nicht am Jungen – sie war überzeugt, dass kein anderer ihn bewusst wahrgenommen hatte –, sondern es war das Wetter. Die Farben auf der Straße waren plötzlich gedämpft und trist, die Wimpel am Triumphbogen flatterten wie graue Lumpenfetzen. Der Himmel, der noch kurz zuvor ein grenzenloses Blau gewesen war, hatte sich nun mit brodelnden, pechschwarzen Gewitterwolken bezogen. Die Menschen, die den bevorstehenden Regenguss ahnten, flüchteten unter die Markisen vor den Geschäften und in die Eingänge der Métro. Überall auf den Champs-Elysées bildeten Regenschirme eine aufgewühlte schwarze See.
Es begann zu regnen, zuerst in vereinzelten Tropfen, die ein dunkles Muster auf das Straßenpflaster zeichneten, dann stärker, bis der Regen wie Glasfäden niederschoss, spritzend auf den Schirmen landete und in die Abflüsse gurgelte. Wer sich immer noch im Freien befand, suchte nun hektischer nach einem trockenen Plätzchen. Doch es waren zu viele Menschen unterwegs, und es gab nicht genügend Zufluchtsmöglichkeiten. Autos und Busse überschütteten die fliehenden Menschen mit Spritzwasser. Die Leute ließen ihre Sachen fallen und überließen sie den Elementen, während sie ihre hektische Suche nach einem Unterschlupf fortsetzten. Der Wind frischte auf, klappte ihre Regenschirme um und riss sie in den Himmel. Auger, die stehen geblieben war, blickte sich um und sah, wie der Regen den Ausdruck des Zorns in ihre Gesichter schnitt. Aber sie verspürte nichts davon. Der Regen war warm und angenehm und hatte den Duft eines teuren Parfüms. Sie hob ihr Gesicht und ließ sich vom Wasser salben, trank es in tiefen Schlucken. Es war köstlich – warm, wo es ihre Haut berührte, erfrischend kühl, als es ihre Kehle hinabrann. Um sie herum hetzten die Menschen über die Straße und rutschten auf den feuchten Pflastersteinen aus. Warum konnten sie nicht einfach innehalten und den Regen genießen? Was war nur mit ihnen los?
Dann veränderte sich die Struktur des Regens. Nun kribbelte er auf ihrer Haut und in den Augen. Er brannte in ihrer Kehle. Sie schloss den Mund, obwohl sie immer noch in den Himmel blickte, aber nun trank sie nicht mehr. Das Kribbeln wurde stärker. Der Regen, der noch vor wenigen Momenten klar wie Gin gewesen war, kam nun in Chromstahlfäden herunter. Flüsse aus Quecksilber strömten aus den Abflussrohren, überfluteten die Rinnsteine und verwandelten das Pflaster in Spiegel. Niemand konnte sich jetzt mehr auf den Beinen halten – niemand außer Auger. Alle anderen schlugen um sich und wälzten sich am Boden, während sie versuchten, wieder aufzustehen. Der Regen floss über ihre Gesichter, sammelte sich in ihren Augen und Mündern, als würde er einen Weg nach innen suchen. Ein Pferd, das sich vom Wagen losgerissen hatte, versuchte sich erfolglos strampelnd auf den Beinen zu halten, bis sie wie Zweige zerbrachen. Schließlich wandte selbst Auger das Gesicht vom Himmel ab. Sie streckte die Hand aus und beobachtete, wie spiegelnde Strahlen durch die Lücken zwischen ihren Fingern liefen.
Allmählich verzogen sich die Wolken. Der Regenguss ließ nach, und der blaue Himmel setzte sich wieder durch. Es regnete nur noch tropfenweise, dann hörte es ganz auf. Die Spiegelflächen auf den Straßen trockneten,
Weitere Kostenlose Bücher