Ewigkeit
Eintrittskanal gerast sind. Und wenn man bedenkt, wie oft das Schiff unkontrolliert mit der Tunnelwand zusammengestoßen ist, müsste es relativ zu uns langsamer und nicht schneller werden. Außerdem dürfte zu diesem Zeitpunkt kaum noch etwas vorhanden sein.«
»Dann würde ich die Trümmertheorie streichen. Vielleicht haben diese Zahlen etwas ganz anderes zu bedeuten. Oder vielleicht stimmt etwas nicht mit dem Schiff. Könnte es einen Grund geben, warum es sich nur einbildet, dass etwas hinter uns herfliegt, obwohl da gar nichts ist?«
»Daran würde ich wirklich sehr gerne glauben«, sagte sie.
»Vielleicht regst du dich wegen nichts auf. Außerdem entnehme ich dem wenigen, das du mir erzählt hast, dass wir sowieso kaum etwas anderes tun können, als uns zurückzulehnen und den Flug zu genießen. So in etwa ist es doch, oder?«
»Irgendwie schon, aber das macht es nicht unbedingt leichter, damit zu leben.«
»Dann werde ich versuchen, deine Gedanken abzulenken, bis dir eine Erklärung einfällt, was diese Zahlen bedeuten könnten. Wir hatten über mich gesprochen, glaube ich. Und zwar darüber, dass ich eigentlich gar nicht existiere.«
»Vielleicht sollten wir dieses Thema lieber ruhen lassen, Floyd.« Auger konnte den Blick einfach nicht von der verwirrenden Sturzflut aus Zahlen losreißen. Sie starrte weiter mit gespannter Wachsamkeit darauf, wie jemand, der hoffte, in einem Gebirgsbach etwas Goldenes aufblitzen zu sehen. »Es war ein Fehler, dass ich darüber gesprochen habe.«
»Tut mir Leid, Mädchen, aber du hast diese Konservendose schon aufgemacht. Es kann verdammt unheimlich sein, wenn man von jemandem erzählt bekommt, dass man schon vor vielen Jahren gestorben ist. Willst du diesen Punkt freiwillig ausführen, oder muss ich meinen Charme in die Waagschale werfen?«
»Erspare mir den Charme, Floyd. Ich glaube nicht, dass ich so etwas jetzt ertragen könnte.«
»Dann erzähl mir mehr über die Gerüchte meines Dahinscheidens. Wann genau hat man meine Kiste zugenagelt?«
»Das weiß ich nicht«, sagte sie. »Ich kann dir nicht einmal sagen, ob du in den Genuss eines anständigen Sarges gekommen bist. Ich fürchte, Wendell Floyd hat einfach nicht genug Eindruck auf die Weltgeschichte gemacht, um dieses Detail zu einer historisch überlieferten Tatsache zu erheben. Sag mir noch mal, wie alt du bist, Floyd – vierzig, einundvierzig?«
»Neununddreißig. Du hast es wirklich drauf, einem Mann zu schmeicheln.«
»Also wurdest du wann geboren? Etwa im Jahr 1920?«
»Volltreffer.«
»Damit wäre Floyd am Ende des Jahrhunderts genau achtzig gewesen. Aber die Chancen stehen nicht sehr hoch, dass er das Jahr 2000 tatsächlich noch erlebt hat. Vielleicht ist er sogar schon während des Zweiten Weltkriegs gestorben. Oder er führte ein glückliches und friedliches Leben und schied im hohen Alter im Kreis liebevoller Familienmitglieder dahin. Oder er beendete sein Leben als griesgrämiger, menschenfeindlicher Mistkerl, auf dessen Tod alle, die ihn kannten, mit großer Erleichterung reagierten.«
»Ich hatte schon immer etwas für griesgrämige, menschenfeindliche Mistkerle übrig«, sagte Floyd.
»Auf jeden Fall war es ein Menschenleben. Er wurde geboren, er lebte, er starb. Wahrscheinlich hat er ein paar Leute glücklich und ein paar unglücklich gemacht. Wahrscheinlich hat man sich in den Jahrzehnten nach seinem Tod an ihn erinnert. Danach war er nur noch ein Gesicht auf alten Fotos – wie man sie ausgräbt, wenn man Frühjahrsputz macht und nicht mehr weiß, woher sie stammen oder was für Leute darauf zu sehen sind. Und das war es dann. Wendell Floyd. Er hat gelebt. Er ist gestorben. Ende der Geschichte.«
»Wieso habe ich auf einmal das Gefühl, als wäre gerade jemand über mein Grab getrampelt?«
»Weil es vielleicht gerade jemand getan hat«, sagte Auger. »Was allerdings nicht sehr wahrscheinlich ist, weil dein Grab unter einer mehrere hundert Meter hohen Eisschicht liegt.«
»Wo kommt plötzlich das Eis her?«
»Ich habe dir doch erzählt, dass auf der Erde alles drunter und drüber ging. Aber mach dir keine Gedanken um das Eis. Der Punkt ist der, dass irgendwann in den späten dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts etwas mit Wendell Floyd passiert ist.«
»In dieser Zeit sind eine Menge Dinge passiert«, sagte Floyd.
»Aber das wichtigste Ereignis ist eins, an das du dich gar nicht erinnerst. Niemand erinnert sich daran. Das Seltsame ist aber, dass es allen Menschen im gleichen
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