Ewigkeit
den dreißiger Jahren nicht hier.«
»Richtig.«
»Dann – mit allem gebührendem Respekt – haben Sie wahrscheinlich keine Ahnung, wie es damals wirklich war.«
Greta warf ihm einen warnenden Blick zu, aber Floyd zuckte gut gelaunt die Achseln. »Nein, ich kann es mir nicht vorstellen.«
»Es war gut, in vielerlei Hinsicht«, sagte Marguerite. »Die Depression war vorbei. Wir alle hatten mehr Geld. Es gab mehr zu essen. Schönere Kleidung. Musik, nach der wir tanzen konnten. Wir konnten uns ein Auto leisten und einmal im Jahr einen Urlaub auf dem Lande. Ein Radio und ein Grammophon, sogar einen Kühlschrank. Doch in dieser Zeit gab es auch viel Niederträchtigkeit. Der Hass brodelte ständig dicht unter der Oberfläche.« Sie wandte den Kopf ihrer Nichte zu. »Es war Hass, der Greta nach Paris verschlagen hat.«
»Die Faschisten haben bekommen, was sie verdient haben«, sagte Floyd.
»Mein Ehemann lebte lange genug, um mitzuerleben, wie diese Ungeheuer an die Macht kamen. Er durchschaute ihre Lügen und leeren Versprechungen, aber er wusste auch, dass sie etwas Böses und Erbärmliches in der menschlichen Seele ansprachen. Etwas, das in uns allen ist. Wir wollen jene hassen, die nicht sind wie wir. Dazu brauchen wir nur einen Vorwand, etwas, das uns ins Ohr geflüstert wird.«
»Nicht alle sind so«, sagte Floyd.
»Das haben viele gute Menschen auch in den Dreißigern gesagt«, erwiderte Marguerite. »Dass die Botschaft des Bösen nur von den Unwissenden angenommen wird und von jenen, die bereits von Hass erfüllt sind. Aber so war es nicht. Es hat viel geistige Kraft gekostet, sich nicht von diesen Lügen vergiften zu lassen, und nicht jeder konnte diese Kraft aufbringen. Noch weniger Menschen hatten den Mut, etwas dagegen zu unternehmen, sich tatsächlich gegen die Hassprediger zu erheben.«
»War Ihr Mann einer jener tapferen Menschen?«, fragte Floyd.
»Nein«, sagte sie. »Er gehörte zu den Millionen, die nichts gesagt und nichts getan haben, und damit ist er ins Grab gegangen.«
Floyd wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Er schaute auf die Frau im Bett und spürte die Macht der Geschichte, die sie wie ein Fluss durchströmte.
»Damit will ich nur sagen«, fuhr sie fort, »dass die Botschaft verführerisch ist. Mein Ehemann sagte, solange diese Hassprediger nicht völlig ausgelöscht werden – vom Antlitz der Erde getilgt, mitsamt dem Gift, das sie verbreiten –, so lange werden sie immer wiederkommen, wie Unkraut.« Sie zeigte auf die Zeitung. »Und das Unkraut kehrt bereits zurück, Floyd. Wir haben 1940 den Rasen gemäht, aber wir haben vergessen, das Unkrautvernichtungsmittel auszubringen. Zwanzig Jahre später ist es wieder da.«
»Ich weiß, dass derzeit viele Menschen böse Dinge sagen«, erwiderte Floyd. »Aber niemand nimmt sie wirklich ernst.«
»Auch in den Zwanzigern hat sie niemand ernst genommen«, konterte sie.
»Jetzt gibt es Gesetze«, sagte Floyd. »Gesetze gegen den Hass.«
»Die nicht zur Anwendung kommen.« Mit einem scharfen Fingernagel tippte sie auf die Zeitung. »Schauen Sie sich diesen Bericht an. Gestern wurde ein junger Mann zu Tode geprügelt, weil er es wagte, die Stimme gegen die Hassprediger zu erheben.«
Floyds Stimme klang plötzlich genauso schwach wie die von Marguerite. »Ein junger Mann?«
»Es war am Bahnhof. Man hat vergangene Nacht seine Leiche gefunden.«
»Nein!«
Greta legte eine Hand an seinen Ärmel. »Wir sollten jetzt gehen, Floyd.«
Er wusste nicht, was er sagen sollte.
Marguerite faltete die Zeitung zusammen und stieß sie von der Bettdecke. »Ich wollte Ihnen keine Vorträge halten«, sagte sie mit einer Freundlichkeit, die bis in sein Innerstes drang. »Ich wollte nur sagen, wie wenig ich Sie beneide. Vor zwanzig Jahren standen Sturmwolken am Horizont, Floyd, und nun ziehen sie erneut auf.« Als wäre ihr ein nachträglicher Einfall gekommen, fügte sie hinzu: »Natürlich ist es noch nicht zu spät, etwas gegen sie zu unternehmen, wenn sich genug Menschen finden, denen etwas daran liegt. Ich frage mich, wie viele Menschen gestern Nacht an diesem armen jungen Mann vorbeigegangen sind, während er Hilfe benötigt hätte.«
Greta zog ihn vom Bett zurück. »Floyd muss jetzt gehen, Tante Marguerite.«
Sie griff nach seiner Hand. »Es war nett von Ihnen, heraufzukommen und mich zu besuchen. Sie kommen doch sicher wieder, nicht wahr?«
»Natürlich«, sagte Floyd und zwang sich zu einem Lächeln, um sein Unbehagen zu
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