Ewigkeit
schwang die Tür langsam nach innen auf.
Dahinter lag ein weiterer dunkler Tunnel, doch diesmal erzeugten ihre Stimmen ein anderes Echo. Der Raum war erheblich größer, und es roch nach Abwässern, Metallstaub und heißem Öl. Im Licht von Skellsgards Taschenlampe schimmerten am Boden acht parallel verlaufende Linien aus blankem Metall auf, die nach links und rechts führten. Es waren zwei Spuren mit je zwei Strängen, neben denen Stromschienen verlegt waren.
Skellsgard wandte sich nach rechts und hielt sich dicht an der Wand. Auger blieb unmittelbar hinter ihr.
»Es ist nicht weit bis Cardinal Lemoine. Normalerweise könnte man von hier schon die Lichter des Bahnhofs sehen.«
»Ich habe Angst«, sagte Auger. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich das wirklich durchstehe.«
»Angst ist gut. Angst sorgt dafür, dass Sie mit der richtigen Einstellung herangehen.«
Der Bahnhof war immer noch dunkel, als sie aus dem Tunnel kamen und auf den Bahnsteig kletterten. Wo Skellsgards Taschenlampe hinschien, sah Auger saubere Kacheln in blassem Grün oder Gelb, altertümliche Schilder und Werbetafeln mit Blockschrift. Seltsamerweise machte die Umgebung gar keinen ausgesprochen unwirklichen Eindruck. Auger hatte schon viele verschüttete Métro-Stationen unter dem vergletscherten Paris besucht, und die meisten hatten die Zeit sogar mehr oder weniger unbeschadet überstanden. Sie konnte sich mühelos vorstellen, dass sie sich auf einer weiteren Exkursion in die Geisterstadt befand.
Skellsgard führte sie zu einem Versteck und ging neben ihr in die Hocke. »Ich weiß, dass Sie es schaffen, Auger. Susan muss es ebenfalls gewusst haben, sonst hätte sie niemals Sie für diese Aufgabe ausgesucht.«
»Dann sollte ich wohl dankbar sein«, sagte Auger zweifelnd. »Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte ich das hier nie zu sehen bekommen.«
»Ich hoffe, es gefällt Ihnen genauso wie Susan. Am meisten hat sie sich darauf gefreut, Pferde zu sehen.«
»Pferde?«
»Sie wollte schon immer wissen, wie sie waren – als lebende Geschöpfe, nicht als arthritisch trottende Rekonstruktion.«
»Konnte sie sich diesen Wunsch erfüllen?«
»Ja«, antwortete Skellsgard. »Zumindest glaube ich es.«
Kurz darauf begann die morgendliche Rushhour. Von ihrem Versteck aus – eingezwängt zwischen zwei Schaltkästen am Ende des Bahnsteigs – beobachtete Auger, wie die Deckenbeleuchtung flackernd anging. Sie hörte das Summen von Generatoren, die hochgefahren wurden, und von irgendwo kam das melancholische Pfeifen eines einsamen Arbeiters. Dann folgte das Klirren von Schlüsseln und das Quietschen von Türen. Nach zehn oder fünfzehn Minuten versammelten sich die ersten Frühaufsteher auf dem Bahnsteig. Die elektrische Beleuchtung bleichte die Farben wie auf einer verblassten Fotografie, doch selbst wenn sie das Licht berücksichtigte, staunte sie über den tristen Eindruck, den die Menschen erweckten. Die Kleidung und die Accessoires waren hauptsächlich in herbstlichem Braun, Grau oder Grün gehalten. Die meisten Pendler waren Männer. Ihre Gesichter wirkten blass und ungesund. Niemand lächelte oder lachte, und fast niemand unterhielt sich mit jemand anderem.
»Sie sehen wie Zombies aus«, sagte sie leise.
»Gehen Sie nicht zu hart mit ihnen ins Gericht«, sagte Skellsgard. »Es ist fünf Uhr morgens.«
Ein Zug fuhr mit quietschenden Bremsen in den Bahnhof ein. Die Türen öffneten sich, einige Passagiere stiegen aus und die Wartenden ein.
»Jetzt?«
Skellsgard legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Warten Sie noch. Der nächste Zug wird etwas voller sein.«
»Das heißt vermutlich, dass Sie das hier schon einmal gemacht haben.«
»Ich werde immer noch jedes Mal nervös.«
Nach ein paar Minuten traf ein weiterer Zug ein. Skellsgard zog Auger mit und schlängelte sich in den Strom der aussteigenden Passagiere ein. Schlagartig wurden die distanzierten Beobachter vom menschlichen Gedrängel mitgerissen. Auger schlug der Geruch nach Tabak und billigem Aftershave entgegen. Es war kein übler Geruch, aber er bewirkte, dass plötzlich alles wesentlich realer wurde. In ihren Tagträumen hatte sich sich oft vorgestellt, wie ein Gespenst durch die alte Stadt zu treiben, als Beobachter, der nicht am Leben selbst teilnahm. Ihre Phantasie hatte es bislang stets versäumt, die Gerüche der Stadt hinzuzufügen, als würde sie alles durch eine Scheibe aus undurchdringlichem Glas betrachten. Nun gab es für sie keinen Zweifel mehr, dass sie in jeder
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