Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ewigkeit

Ewigkeit

Titel: Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
Vom Netzwerk:
Hinsicht körperlich anwesend war. Dazu war der Schock viel zu intensiv.
    Sie sah sich die Menschen an und verglich sich mit ihnen. Die Kleidung, die sie ausgesucht hatte, kam ihr nun viel zu auffällig und grell vor. Anscheinend gelang es ihr nicht, einen natürlichen Rhythmus beim Gehen zu finden oder sich zu entscheiden, was sie mit ihren Händen machen sollte. Sie hielt die Handtasche fest, ließ sie wieder los und griff erneut danach.
    »Auger«, zischte Skellsgard, »hören Sie mit der Zappelei auf!«
    »Entschuldigung.«
    »Gehen Sie einfach und machen Sie sich keine Gedanken. Alles wird bestens laufen.«
    Der Strom der Pendler spülte sie durch eine trostlose Abfolge von Korridoren hinauf zur Straße. Auger übergab ihre Fahrkarte an einen desinteressierten Beamten und trat in das stählerne Licht des frühen Morgens. Skellsgard führte sie vom Ausgang der Métro fort, damit sie den anderen Pendlern nicht im Weg waren. Zu dieser Tageszeit waren die Straßen noch verhältnismäßig leer. Gelegentlich knatterte ein Auto oder Taxi vorbei. Ein weißer Lastwagen kroch langsam die andere Straßenseite entlang und reinigte das Trottoir mit rotierenden Besen. Auf beiden Straßenseiten ragten mit Baikonen bestückte Gebäude drei oder vier Stockwerke hoch auf. Licht drang aus einigen der Wohnungen durch die Vorhänge und Jalousien. Auger konnte die Umrisse von Menschen erkennen, die sich auf den Tag vorbereiteten.
    »Das sieht alles so real aus«, stellte sie fest.
    »Es ist real. Gewöhnen Sie sich lieber daran. Sobald Sie anfangen zu glauben, dass alles nur eine Art Spiel ist, eine Art Simulation, werden Sie sich eine blutige Nase holen.«
    »Was jetzt?«
    »Sie müssen erst einmal ruhiger werden. Um die Ecke ist ein Laden, in dem es rund um die Uhr Kaffee gibt. Möchten Sie einen?«
    »Ich möchte mich nur in eine Ecke verkriechen und an meinem Daumen lutschen.«
    »Sie werden darüber hinwegkommen. Das schafft jeder. Irgendwann.«
    Skellsgard führte sie weiter von der Métro fort. Sie liefen die Rue Monge entlang und kamen auf den Boulevard Saint-Germain. In der Ferne vermischten sich die Neonreklamen zu einem Gekritzel aus Licht. Sie liefen am Stand eines Zeitungshändlers vorbei. Hier gab es mehr Zeitungen, als Auger in ihrem ganzen Leben gesehen hatte, und man konnte sie einfach kaufen. Sie kamen an einer engen Gasse zwischen zwei Mietshäusern vorbei. Dort urinierte völlig gelassen ein Mann gegen die Wand, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Etwas weiter stand eine übertrieben geschminkte Frau, den Rock bis zum bestrumpften Knie hochgezogen, im Eingang zu einem schäbig wirkenden Hotel. In einem elektrisch geladenen Moment nahmen Auger und die Frau Augenkontakt auf. Auger zögerte, während sie den Wunsch verspürte, zu der Frau zu gehen und sie zu fragen, wie es sich anfühlte, ein Teil dieser lebensechten Kulisse zu sein. Skellsgard zog sie behutsam weiter, an einem Souterrainfenster vorbei, aus dem abgestandene Luft und eine Art von Musik drang, die blechern und dissonant klang.
    »Ich weiß, wie Sie sich fühlen«, sagte Skellsgard. »Sie möchten mit den Menschen sprechen. Sie wollen sie testen. Um herauszufinden, wie menschlich sie wirklich sind und wie viel sie wirklich wissen.«
    »Sie können es mir nicht zum Vorwurf machen, dass ich neugierig bin.«
    »Nein. Aber je weniger Interaktion Sie mit diesen Menschen haben, desto leichter wird es für Sie sein. Es ist sogar besser, wenn Sie sie gar nicht für echte Menschen halten.«
    »Im Bahnhof haben Sie mich zurechtgewiesen, als ich sie mit Zombies verglichen habe.«
    »Ich will damit nur sagen, dass Sie eine gesunde Portion Distanz finden müssen.«
    »Hat Susan White es geschafft?«
    »Nein«, sagte Skellsgard. »Susan tauchte zu tief ein. Das war ihr großer Fehler.«
    Skellsgard drückte die Tür des Cafes auf. Es stand in einer Reihe zerfallender Gebäude aus der Directoire-Epoche am Boulevard Saint-Germain, die das Leere Jahrhundert nicht überlebt hatten.
    »Setzen Sie sich hierhin«, sagte Skellsgard und zeigte auf einen Platz am Fenster. »Ich kümmere mich um den Kaffee. Wollen Sie ihn mit Milch?«
    Auger nickte und verspürte ein unheimliches Schwindelgefühl. Sie blickte sich im Raum um, betrachtete die anderen Gäste und verglich sich mit ihnen. Monochromfotografien säumten die Wand und zeigten verblasste Szenen aus Paris, die in feiner Tintenschrift kommentiert waren. Hinter dem Tresen hantierte das Personal – das Haar

Weitere Kostenlose Bücher