Ewiglich die Sehnsucht - Ashton, B: Ewiglich die Sehnsucht
sie immer noch nicht clean ist?
Als ich den richtigen Klassenraum fand, drückte ich meine Bücher an die Brust, senkte den Kopf und trat ein.
Irgendwer – vermutlich die neue Englischlehrerin – rief von vorn aus der Klasse: »Miss Beckett? Richtig?«
Meinen Nachnamen zu hören, stellte seltsame Dinge mit meinem Herzen an. Ließ es ein wenig schneller schlagen. Ein wenig fester. Es war so lange her, seit ich einen Nachnamen gehabt hatte. Hundert Jahre lang hatte Cole mich nur mit meinem Vornamen angeredet. So behandelten die Ewiglichen ihre Spenderinnen – ohne Nachnamen hattest du auch kein Leben außerhalb des Ewigseits. Nichts, wohin du gern zurückwolltest. Vielleicht war er deshalb so überrascht gewesen, als ich mich entschied, noch einmal zurückzukehren.
Ich blieb nah an der Tür stehen, hob den Kopf in Richtung der Lehrerin und ließ mir ein paar Haarsträhnen ins Gesicht fallen, als ich nickte.
»Willkommen.« Sie stutzte, als sie mich richtig ansah. Das erlebte ich öfter. Mein Dad meinte, das liege daran, weil ich aussähe wie ein unterernährtes Tier, immer auf dem Sprung. Ich hatte stark abgenommen, und mein dunkles Haar war nicht mehr lockig. »Der Direktor hat Sie schon angekündigt. Ich bin Mrs Stone. Wie ich sehe, haben Sie das Buch bereits, mit dem wir arbeiten.«
Ich nickte wieder.
»Dahinten ist noch ein Stuhl frei, und hier gebe ich Ihnen noch ein zusätzliches Buch über Mythologie.« Sie deutete nach hinten in den Raum, doch ich hielt die Augen weiter auf sie gerichtet. »Sie werden einiges aufholen müssen.«
Ich wandte mich ab und schleppte mich den mittleren Gang hinunter zu dem freien Platz in der letzten Reihe. Sobald ich saß, holte ich Schreibheft und Stift hervor und beugte mich so weit vor, dass meine Haare das Gesicht wie ein Vorhang schützten.
Ich würde das schaffen.
Aber ich konnte die Neugier in der Luft schmecken. Buchstäblich. Cole hatte mir prophezeit, das Ewigseits würde mich verändern – mich sensibler für die Gefühle anderer machen, weil ich selbst keine mehr hätte. Jetzt, da ich wieder da war, konnte ich die Gefühle »schmecken«, die um mich herumwirbelten.
Manche waren stärker als andere und trafen mich, wenn ich nicht auf sie gefasst war. Wie in dem Moment, als mein Dad sagte, wie froh er über meine Rückkehr sei und dass er mir keine Vorwürfe mache. Doch seine Enttäuschung, die in der Luft lag, schmeckte so stark wie ein Klumpen Salz.
Die meisten Gefühle waren nicht so einfach auszumachen, außer, wenn eine ganze Gruppe das Gleiche fühlte.
Wie jetzt. Dreißig Leute in einem Raum, alle neugierig.
Aber als der Unterricht begann, löste sich eine Emotion, die sich von all der Neugier des Rests unterschied, und gewann die Oberhand. Ich konnte sie nicht benennen. Es wäre mir leichter gefallen, wenn ich darauf gefasst gewesen wäre.
»Hi«, sagte eine vertraute Stimme vom Nebentisch.
Ich erschrak.
Er war es.
Jack.
Der Junge, der mir durch die Hölle geholfen hatte.
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er gleich die erste Stunde mit mir zusammen haben würde. Da war er, der Grund für meine Rückkehr, doch alle Worte, die ich mal gekannt hatte, blieben mir im Hals stecken. Ich wollte zu ihm hin- und gleichzeitig von ihm weglaufen, wollte lachen und gleichzeitig weinen. Stattdessen erstarrte ich zur Salzsäule.
Das alles, nur um ihn zu sehen, aber ohne mir vorher überlegt zu haben, was ich dann tun würde.
Jacks Stimme klang ausdruckslos. Oder eher, als versuchte er, sie ausdruckslos klingen zu lassen. Vielleicht war ich die Einzige, die das spüren konnte.
Ich hielt den Kopf gesenkt, holte tief Luft und entschied mich für das leichteste der Worte, die mir im Hals steckten. Ich atmete so langsam aus, wie ich konnte, und das Wort glitt heraus. »Hi.«
Das Wort war ein Hauch ohne jede Stimme. Bloß die entweichende Luft zwischen meinen Lippen.
Er wandte sich von mir ab und richtete den Blick auf Mrs Stone. Ich fragte mich, wie ich die Stunde durchstehen sollte.
Ich machte mir wie wild Notizen, schrieb jedes Wort mit, das Mrs Stone sagte. Seit meiner Rückkehr zitterten mir die Hände, weil meine Muskeln so ausgezehrt waren, und ich suchte nach Möglichkeiten, sie zu beschäftigen. Das war mit ein Grund, warum ich mit Stricken angefangen hatte. In den zwei Wochen, die vergangen waren, seit ich in dem Minimarkt gelandet und zurück zu meinem Vater gegangen war, hatte ich wie eine Besessene gestrickt: Klamotten für mich, ein paar
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