Ex en Provence
Kickerpartie ernsthaft infrage stellt.
Erstes Thema ist die Klassenfahrt, von der ich noch nichts gehört habe, die aber mangels Betreuungspersonals offenbar ohnehin hochgradig gefährdet ist. Als Termin ist Mitte November vorgesehen, die Anreise per Bus soll drei Stunden dauern und größtenteils durch die südlichen Alpen-Ausläufer führen. Das Thema der Klassenfahrt ist »Von der Milch zum Käse«.
Kurz: Kälte, Kotztüten, Kuhstall.
Daran dürfte es wohl auch liegen, dass sich bisher nur die Großmutter einer Schülerin – eine pensionierte Kinderkrankenschwester – als Begleitperson gefunden hat. Und das, obwohl das Vorhaben doch schon seit Schuljahresbeginn bekannt ist, wie zumindest die Lehrerin behauptet.
Die Reaktion meiner Mit-Eltern lässt erahnen, dass ich tatsächlich die einzige Unwissende bin. Alle stimmen ein großes Wehgeschrei an, dass so spät im Kalenderjahr einfach überhaupt keine Urlaubstage mehr übrig seien. Keine Chance, auch wenn man ja ach so gern die lieben Kleinen begleiten wollte.
Das Fazit: Die Klassenfahrt ist akut bedroht, wenn nicht doch noch eine zweite Betreuungsperson die heldenhafte Oma unterstützen wird.
Ich blättere in meinem Kalender. Die Fahrt ist für Freitag bis Sonntag geplant, es geht eigentlich nur um einen einzigen Arbeitstag, den 12. November. Und für mich sogar um nicht einmal einen halben, denn ich unterrichte nur am Freitagabend. Ob mir die Guillotin freigeben wird? Unwahrscheinlich, zumal es sich ja auch noch um einen dieser heiklen Abendkurse handelt. Aber einen Versuch ist es wert. Sonst muss ich eben plötzlich schwer erkranken – es wird wohl die schon vor Jule erprobte Magen-Darm-Grippe herhalten müssen.
Zaghaft hebe ich also die Hand.
Das Ergebnis: Noch bevor ich meine Bereitschaft in passende Worte fassen kann, applaudiert die Elternschaft, und die Lehrerin spricht mir – der Mutter von »Dschüliiiie won Assel« – ein großes Dankeschön aus.
Won Assel! Göttlich! Ralphs adlige Familie wäre mit der linguistischen Nähe der Sippe zu dem wenig aristokratischen Kellertierchen sicher nicht sehr glücklich. Dazu noch dieser leicht koreanische Einschlag: Won. Sehr schön! Es ist fast schade, dass sich mein Kontakt zu Ralph auf essenzielle Organisationsfragen beschränkt. Das hätte ich ihm wirklich gern erzählt.
Dann schreibt die Lehrerin unter Tagesordnungspunkt 1.5.a »Klassenfahrt, Betreuung, Eltern« erleichtert meinen Namen an die Tafel – oder das, was sie dafür hält: Anna Quiche.
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Eine Stunde später.
Wir haben jetzt Tagesordnungspunkt 7.3.c (Hygiene-Erziehung/Unterstützung im Elternhaus/Händewaschen nach Toilettenbesuch) erreicht. Mittlerweile ist die Aufmerksamkeit der meisten Eltern längst nicht mehr bei den Ausführungen von Mademoiselle Pointcarré, die ihr Publikum irgendwo bei TOP 4.5.g (Kollektiv-Goûter/Wochenplan/ausgewogene Ernährung) verloren haben muss. Die anderen Mütter und wenigen Väter plaudern – mehr oder weniger im Flüsterton – mit ihren Nachbarn.
Ich male ein bisschen auf meinem Notizzettel: Pumps, die auch in Größe 42 noch attraktiv aussehen, daneben meine Converse und meine Joggingschuhe, schließlich noch …
Plötzlich öffnet sich die Klassentür, das allgemeine Gemurmel erstirbt, und alle blicken gespannt zur Tür. Selbst in Frankreich wagen wohl nur die wenigsten, eine ganze Stunde zu spät zu kommen. Wer könnte …
Natürlich! Es ist Eric Leroy, mein designierter Tischnachbar!
Ohne ein Wort zu sagen, geht er durch den Klassenraum, nickt der Lehrerin kurz zu und steuert direkt den Platz neben mir an – schließlich der einzige, der noch frei ist. Na, wunderbar! Ich straffe meinen Rücken und atme tief durch. Kampfbereitschaft, höchste Stufe.
Monsieur Leroy lässt sich wortlos neben mir nieder, greift sich ebenso wortlos den Kugelschreiber aus meiner Hand und schreibt auf meinen Zettel »Bonjour Madame«.
Ich sehe ihn fragend an, doch bevor ich reagieren kann, fügt er noch in einer schwer leserlichen, da sehr nachlässigen Handschrift hinzu: »Schönes Gemälde« mit einem Pfeil zu meinem Stillleben aus Traum-Pumps, Converse, Joggingschuhen und …
… Baguettes, in jedem Schuh eines. Die habe ich wohl gerade gedankenverloren noch dazugemalt.
Ups.
Diese peinliche Baguette-Szene neulich in unserem Treppenhaus, als Monsieur Leroy seine Tochter abholte, hätte ich mein Unterbewusstsein doch gern allein verarbeiten lassen.
Eric Leroy grinst verschmitzt und schenkt jetzt der
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