Ex en Provence
der schmollenden Jule praktisch alleine auf dem Schulhof.
»Nathalie, willst du nicht noch auf einen kleinen Aperitif mit zu uns nach Hause kommen?«, frage ich sie. »Vielleicht ein Bier, wie in Deutschland? Wir wohnen nicht weit weg.«
»Bier?«, fragt Nathalie erstaunt nach.
Mist, Bier passt wohl irgendwie nicht.
»Äh …«, stottert Nathalie. »Jetzt? Ja, also … ich weiß nicht, ob das …«
Wie sagt man? Es dauert Jahre, bis man in Frankreich Freunde findet. Ich war doch zu voreilig!
»Na, dann vielleicht ein anderes Mal«, rudere ich zurück.
»Ach, warum eigentlich nicht?«, erklärt Nathalie plötzlich. »Ich muss aber kurz zu Hause anrufen und das mit meiner Schwiegermutter klären.«
Huch.
Nathalie zückt ihr Handy und erreicht offenbar gleich ihre Schwiegermutter. Ich versuche vergeblich, nicht zu lauschen. Aber sagt sie da nicht die ganze Zeit »Sie«?
Hallo?
»Vielen Dank, Madame«, verabschiedet sie sich schließlich von der Mutter ihres Mannes, als spreche sie mit einer Geschäftspartnerin. Dann sagt sie zu mir gewandt: »Geht klar, Madame Dupont hat schon alles erledigt.«
Madame Dupont? Das ist doch sie selbst? Schizophrenie?
»Meine Schwiegermutter hat die Kinder geduscht …«
Nein, nein: Sie nennt ihre Schwiegermutter Madame Dupont!
»… und sie haben gut gegessen. Alles in Ordnung.«
Düstere Erinnerungen an Garance Dur und ihre strengen Wasch-und Essrituale mit Jule kommen auf. Dieses Land gibt mir durchaus Rätsel auf.
»Madame war zwar etwas beunruhigt, dass ich einfach so wegbleibe«, fährt Nathalie fort. »Aber Jonathan, das ist mein Mann, ist noch nicht zu Hause, deshalb war sie dann doch einverstanden. Jetzt lass uns aber gehen. Der Elternabend hat wirklich lange genug gedauert, oder?«
»Äh, ja. Auf jeden Fall. Sag mal, entschuldige die Indiskretion, aber du siezt deine Schwiegermutter?«
»Ja, klar, das ist mitunter so üblich. Das ›Du‹ ist doch für Ehemänner, Kinder, Freunde und so weiter reserviert. Und ehrlich gesagt: Madame Dupont und ich sind eigentlich keine Freundinnen.«
14. Kapitel
Kurze Zeit später
Mit Jule und Nathalie zuhause
Jule ist außer sich. Auf dem ersten Teil unseres kurzen Heimwegs mit Nathalie quer durchs Dorf schwieg sie beharrlich. Und als wir eben beim »Casino«, dem Mini-Supermarkt, zwei Tüten Chips erstanden haben, antwortete sie demonstrativ nur auf die Fragen von Jean-Claude.
»Na, was macht die Mannschaft?«, erkundigte sich der Besitzer des Tante-Emma-Ladens bei ihr und meinte damit die deutsche Nationalmannschaft. Jule aber dachte, es gehe um ihre Tischfußballmannschaft, und erzählte ihm von dem abgebrochenen Kopf eines Spielers.
Natürlich verstand Jean-Claude gar nichts und kratzte sich die ganze Zeit den wohl in unserem Dorf obligatorischen Bart, den er ganz individuell leicht angegraut trägt. »Poivre sel« – wie es auf Französisch heißt, oder Pfeffer und Salz.
Nach dem Einkauf verschärfte Jule ihren Boykott noch und blieb mindestens zwei Meter hinter Nathalie und mir zurück. Und zuhause angekommen, beschimpfte sie mich wüst, obwohl ich ihr eine kleine Extraschüssel voll Chips hingestellt, ein Brot mit ihrem Lieblingsstreichkäse geschmiert und ihr dazu sogar noch eine Cola angeboten habe. Die habe ich in letzter Zeit immer im Vorratsschrank stehen – falls uns die echte Magen-Darm-Grippe einholen sollte –, gleich neben den Bierflaschen, die eigentlich für die Fußballtisch-Spediteure bestimmt gewesen waren.
Die Bierflaschen lege ich jetzt ins Eisfach, damit sie schnell kühl werden.
»Mit Chloé wolltest du nicht Chips essen, aber jetzt …«, wettert Jule.
Objektiv nicht so leicht zu widerlegen.
»Und das alles nur, weil du ihren Papa komisch findest, das weiß ich genau!«
Schlaues Kind.
»Das ist gaaaanz ungerecht und ganz, ganz fies. Und sowieso ist alles total merde! Ich will zu Papa!«
Jule verschwindet in ihrem Zimmer, knallt die Tür zu und versperrt sie dem Rumpeln nach zu urteilen von innen mit dem berühmten Kickertisch.
Nathalie sieht mich mitfühlend an. »Kopf hoch«, sagt sie. »Das war bei Camille, Alex’ großer Schwester, auch so. Sie hatte zunächst große Schwierigkeiten, unsere Trennung zu verkraften.«
»Ach, du bist auch geschieden?«
Obwohl ich das ja formal noch gar nicht bin.
»Nein, mit dem Vater von Camille war ich nie verheiratet. Er war, wie soll ich sagen, ein echter Schürzenbrecher!«
»Ein was?«
»Ein, wie sagt man, Herzensjäger? Moment, ich
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