Ex en Provence
der Achterbahn gelandet. Ich kriege fünf Euro von dir.«
Jule würde es mir nie verzeihen, wenn ich doch nicht mit auf den Bauernhof fahre und am Ende mangels Betreuer auch noch der ganze Ausflug abgesagt wird. Nein, das kann ich nicht machen.
»Eine Fünf! Hihi, hab schon gewürfelt. Und du hast gar nicht gemerkt, dass ich eben auf deiner Geisterbahn war …«
Aber wenn ich eventuell einen Ersatz für mich finden könnte, dann hätte ich sogar eine wunderbare Lösung für das Babysitter-Problem, das so ein Wochenendtrip ja zwangsläufig aufwerfen würde. Obwohl Jules Begeisterung auch bei dieser Strategie sicher nicht Bayern-München-Fankurven-Niveau erreichen wird.
Vielleicht könnte Nathalie mich auf dem Bauernhof vertreten? Ja, die Idee ist gut. Sie ist ja ohnehin in ihrem Krankenhaus schon als Glucke berühmt, da kann sie sich doch durchaus einen Tag freinehmen. Eigentlich wundert es mich ohnehin, dass sie sich nicht selbst gemeldet hat. Und nach dem Elternabend haben wir nie richtig über diese Fahrt gesprochen. Ja, ich werde Nathalie fragen! Hoffentlich erreiche ich sie in ihrem Urlaubsdomizil.
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Am Abend desselben Tages
An Jules Bett
»Julchen?«, säusele ich meiner Tochter ins Ohr, die sich in ihre Decke gekuschelt hat. Es ist spät geworden. Vor lauter Tagträumerei habe ich die Zeit ein bisschen aus den Augen verloren.
»Hallo Julchen, schläfst du schon?«
»Hm.«
»Sag mal, es wäre doch bestimmt gar nicht so schlimm, wenn vielleicht eine andere Mama mit auf den Bauernhof kommen würde, oder?«
»Nö«, murmelt Jule im Halbschlaf.
Yesss!
»Wir könnten zum Beispiel Nathalie fragen, ob sie nicht …«
»Meinetwegen. Die kann auch mitkommen.« Jule schließt wieder die Augen.
Auch?
Da waren sie wieder: Diese ganz elementaren Grundlagen zum Thema kindlicher Logik, mit denen ich eine Eskalation unserer kleinen Verständigungsschwierigkeit jetzt vielleicht noch verhindern könnte, die mir aber leider fehlen. Den Kurs muss ich an der Uni irgendwie verpasst haben, wie so manche andere nützliche Dinge auch. Auf jeden Fall hätte mir ein bisschen Vorbereitung auf die Realität als berufstätige Mutter – nicht nur in Frankreich – durchaus gutgetan.
In meinem nächsten Leben werde ich deshalb die Vorlesung über »Katastrophen in der Literatur des 18. bis 20. Jahrhunderts« sausenlassen, um beim Roten Kreuz einen handfesten Erste-Hilfe-Kurs zu besuchen. Das hätte mir sicher auch geholfen, als Jule damals mit dem Bobby-Car in die Glasvitrine gesaust ist. Auch auf das Anglistik-Seminar über »Post-apocalyptic fiction« werde ich nach meiner Wiedergeburt souverän verzichten und mich stattdessen in Zeitmanagement, Führungskompetenz und Yoga weiterbilden. Nützlich bei Arbeit, Sport und Spiel. Dazu noch ein Mediations-Crashkurs für UNO -Blauhelme, vielleicht als Blockseminar in den Semesterferien. So als Profi-Unterhändler hätte ich die Sache hier sicher längst locker im Griff. Aber für all das ist es in diesem Leben ja nun ein bisschen zu spät.
»Julchen, ich meinte eher, wenn Nathalie mitkommt, dann würde Mama vielleicht in der Zeit einen kleinen Ausflug nach Paris …«
»Waaaas?« Jule setzt sich auf und starrt mich mit weit geöffneten Augen an. »Du willst nich mit?«
»Na, also …«
»Abba Mama, das ist gaaanz …«, Jule schnieft. »Das ist ja voll fies. Ich hab mich schon soooo darauf gefreut.«
»Ich weiß, mein Schatz, aber …«
»Wieso willst du denn nich mit mir verreisen?«
»Ach, Julchen, natürlich will ich mit dir verreisen, es ist nur, dass …«
»Hast du mich denn nich liehieb?«
»Aber natürlich, Julchen! Wie kommst du denn darauf? Ich habe dich gaanz schrecklich lieb.« Ich drücke Jule an mich.
»Dann kommst du also mit.«
Seufz.
»Ja, ich komme mit.«
»Na, dann is ja alles okee. Nacht, Mama.«
»Gute Nacht, Julchen.«
Ich decke Jule zu und drücke ihr einen Kuss auf die Wange.
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Nein, leider wird mein Plan auf keinen Fall klappen: Nathalie kommt nicht mit auf den Bauernhof. Sie hat vorhin noch aus dem Urlaub zurückgerufen und meinen Paris-Traumluftballon endgültig platzen lassen.
»Ich würde dir wirklich gern helfen, Anja«, hat sie mit echtem Bedauern gesagt. »Aber ich fahre doch genau an dem Wochenende schon mit Camilles Klasse nach Avignon. Das hatte ich noch gar nicht erwähnt? Dabei war es gar nicht so einfach, Madame Dupont, also meine Schwiegermutter, du weißt schon«, kicherte sie, »zum Betreuungseinsatz zu überreden. Aber
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