Ex en Provence
schon.«
»Hä?«
»Wie bitte, heißt das, Mama! Chloé und ich sind Schwestern. Das spielen wir immer, ich und … guck ma, Mama, da ist ja Chloé!«
Jule winkt wild ihrer Freundin zu, die gerade eben durch das Schultor geschlüpft ist. Wir haben uns auf 50 Meter Entfernung genähert.
»Chloé! Waaate!«
Doch in diesem Moment schließt sich das schwere Tor automatisch.
»Mist! Julchen, wir haben es verpasst. Jetzt müssen wir bei der Direktorin klingeln. Komm schnell!«
In diesem Moment fährt Chloés Vater in seiner Ente an uns vorbei. Aus dem offenen Fenster zeigt er amüsiert auf seine Armbanduhr. Sein Blick sagt: »Ein bisschen spät heute, oder?«
Grrrr …
Jule und ich haben jetzt den Hintereingang der Schule erreicht und klingeln – wie es von Sündern wie uns erwartet wird. Madame die Direktorin öffnet höchstpersönlich. Jetzt kommt sicher die Standpauke wegen der Verspätung.
Doch die Schulleiterin sagt nur knapp zu Jule: »Du hast noch Schokolade am Mund.«
Ups. Tatsächlich. Schließlich hatte Jule sich auf dem Weg zur Schule nur schnell das »pain au chocolat« aus Madame Croizets Körbchen vor unserer Wohnungstür gegriffen und ziemlich unkontrolliert verdrückt. In mir kommen unangenehme Erinnerungen an meine letzte Begegnung mit der Direktorin auf, als ich das eine Zitronentartelette im Mund und das zweite in der Hand hatte.
Doch die Direktorin fügt jetzt relativ freundlich hinzu: »Komm rein, Julie, und geh schnell in deine Klasse.«
Oui! Sie hat tatsächlich »Dschülie« gesagt. Juhu! Dank Jules neuer Kleidchen-Garderobe hat also auch die Direktorin mitbekommen, dass es sich bei meinem Kind um ein Mädchen handelt. Ein Schritt weiter auf der französischen Integrationsleiter.
Mich beäugt die Doppelgängerin meiner eigenen Chefin allerdings wieder überaus kritisch – obwohl ich doch jetzt völlig frei bin von jeglichem Naschwerk. Aber irgendwie taxiert sie mich auch eher vom Hals abwärts.
Was stimmt denn jetzt schon wieder nicht?
Natürlich habe ich an diesem Morgen nicht die Zeit gefunden, mich für französische Verhältnisse auch nur halbwegs korrekt aufzurüschen. Aber dafür ist Jule immerhin jetzt in der Schule, und wir müssen den Unterricht nicht noch später stören. Das ist doch schon mal etwas. Und könnte von der Direktorin ja auch durchaus mal gewürdigt werden …
Doch weit gefehlt: Sie schürzt nur etwas abfällig die Lippen, zieht kritisch eine Augenbraue hoch und wendet sich endlich von mir ab. Ich fühle mich irgendwie wie eine Aussätzige, Integration leider doch gescheitert.
Der Platz vor der Schule ist menschenleer. Tatsächlich habe ich heute alle Franzosen in Sachen Unpünktlichkeit geschlagen, als sonst so überpünktliche Deutsche. Immerhin.
Doch was ist das? Da biegt doch allen Ernstes Nathalie in ihrem unförmigen Transporter um die Ecke. Sie ist tatsächlich noch später dran als ich! Sie fährt einen dieser Kastenwagen, die wohl eigentlich für Handwerker gedacht sind, in Frankreich aber bei kinderreichen Familien Kultstatus genießen.
Nathalie braust mit dieser »Kangoo«-Kiste vor den berüchtigten Hintereingang der Vorschule, winkt mir kurz zu, steigt aus und nimmt mit Alex denselben Weg, den ich zuvor mit Jule gegangen bin. Ein entschuldigender Blick für die Direktorin, ein kleiner Schubs – und Alex ist abgeliefert.
»Warte kurz auf mich«, ruft sie mir jetzt fröhlich zu. »Ich bringe noch schnell Camille und Lucille weg.« Von weitem sehe ich, wie Nathalie mit Camille dieselbe Prozedur an der Grundschule 20 Meter weiter absolviert und dann Lucille zur ebenfalls benachbarten Krippe bringt.
Wow! Und ich habe mich wegen eines einzigen Kindes aufgeregt. Und das auch noch zehn Minuten früher. Nathalie springt jetzt wieder in ihren »Kangoo« und nimmt Kurs auf mich.
Das Fahrzeug zeichnet sich vor allem durch seine Höhe aus, und ich frage mich immer, ob die Franzosen ihre vielen Kinder eigentlich darin stapeln. Hässlich sind diese Gefährte auch, und deshalb werden mir die genauen Gründe für diese Leidenschaft wohl für immer ein Rätsel bleiben.
Genauso wie die kollektive Ohnmacht, in die meine hiesigen Mitbürgerinnen fallen, wenn Johnny Hallyday im Fernsehen auftaucht. Dieser einstige Rockrebell zählt mittlerweile an die 70 Jahre, sieht aus wie knapp 90 und lebendig mumifiziert. Aus dem faltigen Gesicht leuchten einem surreal hellblaue Augen entgegen, die bei meinen Altersgenossinnen offenbar noch für weiche Knie sorgen. Ein
Weitere Kostenlose Bücher