Ex en Provence
denn da neben dir? Ich kann nichts erkennen! (12. November, 08:50)
Jetzt geht der Bus in die erste Kurve. Aber wie! Ich muss mich ordentlich anstrengen, um einen angemessenen Sicherheitsabstand zu diesem Leroy zu halten.
Eric Leroy. Ist wohl kurzfristig als Betreuer eingesprungen. Hast du das etwa nicht mitbekommen? (12. November, 08:53)
Wer hat eigentlich gesagt, dass ich nicht reisekrank werde?
Nein. Hatte ich nicht. Na, dann viel Spaß. Muss jetzt zum anderen Bus. Camilles Klasse fährt auch gleich los. Mal sehen, mit wem ich mich vergnügen darf … (12. November, 08:56)
Schlimmer als der Leroy kann es ja wohl nicht sein. Mir ist schlecht. (12. November, 08:59)
Jetzt schon? Alles Gute. (12. November, 09:01)
Danke. Du kommst zu spät zum Bus. (12. November, 09:03)
Nein, nein. Abfahrtstermin war erst vor 15 Minuten. (12. November, 09:05)
Na, dann ist ja alles in bester Ordnung. So für die lässige Französin …
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Zwei Stunden später.
Der Busfahrer dürfte seinen Führerschein irgendwo in Frankreichs afrikanischen Ex-Kolonien gemacht haben – so wie der überholt und jedes Schlagloch voll ausfährt. Inzwischen haben wir die Autobahn schon wieder verlassen. Leider, denn mit den zahlreichen Radarfallen und der stabilen Mittelleitplanke war die Strecke noch einigermaßen vorhersehbar und erträglich.
Doch jetzt, auf der Landstraße und mitten in den ersten Ausläufern der Südalpen, nimmt der Bus jede Kurve mit, als gelte es, der schlimmsten Höllenschaukel auf dem Oktoberfest Konkurrenz zu machen. Mir ist so schlecht wie schon seit meinem Ausflug in dieses Beinahe-Sterne-Restaurant auf dem Land nicht mehr.
»Geht es Ihnen nicht gut?«, erkundigt sich Eric Leroy und blickt kurz von seiner Zeitung auf, in die er sich seit der Abfahrt vertieft hat. »Ist es schon wieder die ›gastro‹, oder vertragen Sie etwa das Busfahren nicht?«
Die ›gastro‹ kam von Ihrer Tochter, vielen Dank noch mal!
»Nein, alles bestens, Monsieur Leroy«, gebe ich zurück und versuche, mich auf die nächste Kurve zu konzentrieren.
Mein Nachbar faltet seine Zeitung zusammen. »Dann ist es ja gut. Sagen Sie mal, jetzt, wo wir zusammen auf Klassenfahrt gehen, können wir uns ja eigentlich auch duzen, oder?«
Niemals.
»Ich heiße Eric, aber das wissen Sie ja schon, oder?«
»Hm.«
Jetzt streckt er mir die Hand entgegen und – ich muss zweimal hinsehen – lächelt mich an.
Also, ganz vielleicht könnten wir uns duzen. Aber eigentlich will ich erst eine Entschuldigung für diese Parkplatz-Demütigung vor der Schule, für die unverschämte Unpünktlichkeit jedes Mal, wenn Sie Chloé bei uns abholen mussten, für diese blöde Magen-Darm-Grippe, die mir die Ferien so gründlich ver…
»Also?«, insistiert er.
Jule und Chloé tauchen jetzt kichernd hinter den Sitzen der vorletzten Reihe auf und starren mich an.
»Ja, warum eigentlich nicht?« Ich schüttele Erics Hand. »Ich heiße Anja.«
Nicht Anna.
»Ich weiß, Anna.« Eric lehnt sich zurück.
Aaaaah!
»Ich sagte An-ja!«
»Ich doch auch«, murmelt Eric und schließt die Augen.
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Ganz offensichtlich bin ich nicht die Einzige mit Magenproblemen, denn die Lehrerin flitzt seit geraumer Zeit von Sitzreihe zu Sitzreihe. Sie hat eine große Rolle dabei, von der sie Säckchen im Gefriertüten-Design abreißt und an reisekranke Kinder verteilt. Jule geht es zum Glück gut. Sie nimmt mich kaum noch wahr und blödelt mit Chloé, ihrem neuen Geliebten Pierre und dem unglücklich in sie verliebten Alex in der Reihe vor ihr herum.
Jetzt kommt die Lehrerin zu uns nach hinten und wedelt bedrohlich mit der Kotztüten-Rolle.
»Darf ich Sie bitten, mich ein bisschen zu unterstützen? Mir ist auch nicht so gut«, sagt sie. »Ich würde mich gern einen Moment vorn auf den Beifahrersitz setzen.«
Ich auch.
Sie hält die Rolle zwischen Eric Leroy und mir in die Luft.
Ich sehe hinüber zu meinem Nachbarn. Der hat jetzt auch noch den Kopf nach hinten gelegt und …
… schnarcht.
Grrrr!
»Vielleicht können Sie das übernehmen«, fragt mich erwartungsgemäß die Lehrerin, nach einem etwas irritierten Blick auf Eric. Sie selbst wird jetzt richtig grün im Gesicht und auch etwas schwach auf ihren sehr schlanken und sicher gründlich epilierten Beinen. Ich greife mir also die Tüte und quetsche mich an dem schlafenden Eric vorbei.
»Viel Erfolg«, klingt es dabei leise an mein Ohr.
Ich muss mich verhört haben.
»Wie bitte?«
Keine Reaktion.
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Kurz vor Mittag
Ob es in
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