Ex en Provence
Berlin, wo das Leben als Frau irgendwie weniger anstrengend war – vielleicht von Gummibärchen und Ehemänner verschlingenden Babysitterinnen und der November-Kälte einmal abgesehen. Auf jeden Fall scheint in Frankreich einfach keine Französin aus mir werden zu wollen. Und deshalb werde ich mir heute mal eine großzügige Auszeit von diesem Projekt gönnen!
Also schlurfe ich genüsslich in meinen Birkenstocks in die Bäckerei, bestelle mir ein Extra-Pain-au-chocolat, bekomme von Madame Croizet noch eine heiße Schokolade dazu und setze mich zu ihr in die Backstube. In der Bäckerei herrscht die Ruhe nach dem morgendlichen Sturm, und meine Vermieterin/Ersatz-mutter/Trösterin in allen Lebenslagen hat Zeit.
» Ma chère , was ist denn los? Was läuft nicht so, wie es sollte? Ist es wegen der Polizei, die heute Morgen hier war?«
Ich lasse meine Tasse auf den riesigen, mehlstaubigen Tisch knallen. »Die Polizei?«
»Ja, zwei Beamte. Die müssen aus der Stadt gewesen sein. Ich kannte sie nämlich gar nicht. Sie wollten mit Ihnen sprechen. Haben Sie Probleme?«
Ja, jede Menge, zum Beispiel
mit der Unmöglichkeit, jeden Tag wie für ein Model-Shooting zurechtgemacht vor Jules Schule, zur Arbeit oder im Supermarkt zu erscheinen,
mit meinem Haarwuchs an den falschen Stellen oder in der falschen Farbe,
mit meiner mit der französischen Mode einfach nicht wirklich kompatiblen Teutonen-Figur,
mit der lächerlichen Tatsache, dass ich es bei meiner Chefin schon zum Eklat gebracht habe, bevor ich überhaupt den eigenen Unterricht schwänzen konnte,
mit der gewissen Herausforderung, als Alleinerziehende ein supersinnliches Date mit niemand Geringerem als einem französischen Hugh Grant zu organisieren und es ohne Katastrophe enden zu lassen und nicht zuletzt
seine wahren Absichten zu durchschauen.
Aber mit der Polizei?
»Nein«, antworte ich wahrheitsgemäß.
»Na, dann wird das ja sicher nur ein Irrtum sein«, beruhigt mich Madame Croizet und schenkt mir ein bisschen heiße Schokolade nach. »Ach, bevor ich es vergesse, die Post war auch schon da. Es waren gleich zwei Einschreiben für Sie dabei, und ich habe mir erlaubt, sie anzunehmen. Unser Postbote ist da ja ganz kooperativ.«
Sie steckt mir zwei Umschläge zu. Auf dem einen prangt die Tricolore, die französische Nationalflagge, auf dem anderen das Logo der »École Polyglotte«.
Ich habe den Eindruck, Madame Croizet versucht, so gelassen wie möglich zu erscheinen. Dann schiebt sie aber doch nach: »Wenn Sie irgendwie in Schwierigkeiten sind, helfen wir Ihnen gern. Mein Jacques hat da so seine Drähte nach oben.«
Mit meinen beiden mysteriösen Umschlägen gehe ich nach oben in unsere Wohnung, die ich trotz allem immer noch so idyllisch finde wie am ersten Tag.
Alles ist gut. Bestimmt …
Madame
Anja Kirsch
1, Place du Marché
13577 L’Oublie-en-Provence
Mahnung
Sehr geehrte Madame Kirsch,
mit gebührender Dringlichkeit fordern wir Sie als aus dem nicht europäischen Ausland Zugezogene hiermit auf, sich binnen zwei Wochen nach Eingang dieses Schreibens im Rathaus registrieren zu lassen, eine Aufenthaltsgenehmigung und einen französischen Führerschein zu beantragen. Wir erinnern daran, dass Sie dafür Folgendes bereithalten müssen.
Ihr Familienbuch in beglaubigter Übersetzung,
zwei amtlich beglaubigte Kopien Ihrer Geburtsurkunde sowie ggf. der Geburtsurkunden ihrer Kinde,r
ggf. drei amtlich beglaubigte Kopien Ihrer Heiratsurkunde,
ggf. vier amtlich beglaubigte Kopien Ihrer Scheidungsurkunde,
Ihre Aufenthaltsgenehmigung,
Ihren französischen Führerschein.
Mit besten Empfehlungen,
i.A. Chantal Chevalier
Jean-Pierre Pommery, Bürgermeister
… nicht. Nichts ist gut!
École Polyglotte
Madame
Anja Kirsch
1, Place du Marché
13577 L’Oublie-en-Provence
Abmahnung
Sehr geehrte Madame Kirsch,
mit Bestürzung musste ich feststellen, dass Sie Ihrer vertraglichen Verpflichtung zu einem qualitativ hochwertigen Unterricht an der École Polyglotte nicht nachkommen. Deshalb muss ich Sie hiermit abmahnen. Ein weiterer Zwischenfall wird zwangsläufig Ihre Kündigung nach sich ziehen.
Hochachtungsvoll
Augustine Guillotin
Direktorin
#
Hallo Bettina, habe die Polizei am Hals. Und eine Abmahnung. Aber sonst ist alles okay. Danke der Nachfrage. (9. November, 09:10)
Oh. Aber doch nicht so garstig. Was hast du denn ausgefressen? Du bist doch eigentlich immer ganz brav. (9. November, 09:12)
Keine Ahnung. Auf jeden Fall habe ich bald genug
Weitere Kostenlose Bücher