Ex en Provence
den französischen Ex-Kolonien solche engen Serpentinen-Straßen und solche großen Busse gibt? Wir haben den auf einer Bergkuppe liegenden Bauernhof fast erreicht, doch die letzte Haarnadelkurve stellt selbst diesen Höllenfahrer vor Probleme. Mitten in der Kurve hat er den Bus angehalten, weil dessen Wendekreis offenbar einfach zu groß ist. Und jetzt nähert sich das Bus-Heck für meinen Geschmack etwas zu offensiv dem Abhang.
Nach rund fünf Rettungsaktionen mit Plastiktüten und Papiertaschentüchern habe ich wieder in der letzten Reihe Platz genommen, aber am anderen Seitenfenster, weit weg von diesem faulen Leroy. Allerdings sieht der Abgrund von diesem Fenster aus nicht sooo gemütlich aus. Die Lehrerin scheint das Problem gar nicht wahrzunehmen, da sie mich bei der Kinderversorgung inzwischen wieder abgelöst hat.
Jetzt legt der Fahrer krachend den Rückwärtsgang ein und manövriert den Bus noch weiter in Richtung sicheren Tod.
»Hey, Moment mal, sollten wir nicht lieber das letzte Stück laufen?«, rufe ich verzweifelt in den Bus voller kichernder, kreischender und k…er Kinder.
Niemand hört mich.
Fast niemand.
»Nur die Ruhe«, sagt Eric, der strategisch sehr günstig kurz vor der Ankunft aus seinem Nickerchen erwacht ist.
»Oh. Guten Morgen. Ich wünsche, wohl geruht zu haben. Nachdem Sie die überaus anspruchsvolle Aufgabe des Reisekrankheits-Managements verweigert haben, könnten Sie ja vielleicht jetzt mal etwas tun!« Ich zeige aus dem Fenster. »Wir müssen den Bus evakuieren! Wir können doch nicht warten, bis wir mit den ganzen Kindern in die Tiefe fallen!«
Eric kommt an mein Fenster und ignoriert dabei selbst die in Frankreich geltenden Minimalstandards für zwischenmenschlichen Sicherheitsabstand. Trotz der vielen Begrüßungsküsse gibt es die durchaus, aber die gelten natürlich nicht für diesen ungehobelten Kerl.
»Hey, Vorsicht«, protestiere ich. » Ich sitze hier.«
»Das sehe ich. Hast du Angst, dass der Bus hier hinten in der Ecke Übergewicht bekommt?«, grinst Eric und streicht über seinen dezenten Bauchansatz. »Dabei sind wir doch beide schlank und rank.«
»Lassen Sie mich bitte durch!« Ich versuche, mich an Eric vorbeizudrängen.
»Ich dachte, wir wären inzwischen beim Du?!«
»Ich will jetzt aussteigen. Jule, komm mit!«
»Ganz ruhig bleiben.« Eric greift nach meinem Arm. »Kein Grund zur Panik. Der Fahrer hat das sicher unter Kontrolle. Du weißt ja selbst ganz genau, dass es auch beim Einparken eigentlich immer einen Weg gibt.«
»Also, das ist doch wirklich der Gipfel!«
»Nein, noch nicht ganz. Noch zehn Meter, dann sind wir da.«
Genau in diesem Moment ertönt das tiefe Brummen des Diesels, das die Rückkehr in den Vorwärtsgang signalisiert, und der Bus rollt tatsächlich die letzten Meter Richtung Einfahrt des Bauernhofs.
Jule dreht sich zu uns um. »Hey, Eric, der Fahrer ist ja wohl cool, oder?«, sagt sie fröhlich und blickt dann zu mir. »Oh! Mama, geht es dir nicht gut?«
»Doch, doch, alles bestens.«
»Du siehst in der Tat ein bisschen krank aus«, sagt Eric.
»Vielen Dank!«
Auch für die Erinnerung, dass ich mich noch dringend bei meiner Chefin krankmelden muss.
Kaum dem Bus entkommen, ziehe ich mich zurück und rufe die »École Polyglotte« an. Die Guillotin ist nicht da, also berichte ich ihrer Sekretärin von meinen Kopfschmerzen. In Hörweite steht plötzlich Eric Leroy – und schüttelt mahnend, aber mit einem amüsierten Blick den Kopf.
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Am Abend
Der Bauernhof ist, höflich ausgedrückt, doch recht urtümlich. Am nur noch mit Mühe in den Angeln hängenden Tor aus ziemlich morschem Holz hat uns vorhin ein älteres Ehepaar empfangen, das sich vor circa drei Jahrzehnten von der Zivilisation verabschiedet haben dürfte. Mann und Frau sind eigentlich nur dadurch zu unterscheiden, dass Mann ein kleines bisschen mehr Bartwuchs aufweist. Die Frau in ihrem Zottel-Look ist schon ein echter Schock, hatte ich mich doch gerade erst an den Epilierungswahn meiner Mitbürgerinnen gewöhnt.
Aber so weltfremd die beiden aussehen, so geschäftstüchtig dürften sie sein. Sie haben zwei Ställe in Schlafräume sowie eine Scheune in einen Speisesaal umgebaut und halten sich noch genau eine Alibi-Kuh, ein paar Ziegen, Schafe, jede Menge Hühner und Fliegen in den kuschelig warmen Restställen. Statt von der Landwirtschaft leben sie von den Subventionen aus Paris und Brüssel für pädagogisch wertvolle Klassenreisen.
Den Nachmittag habe ich
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