EXCESS - Verschwörung zur Weltregierung
Mattei nicht einschätzen, wie Adams auf seine Information reagieren würde.
Viertens hatte er das Problem, dass er nicht mit dem Botschafter in Washington oder anderen Diplomaten über die Sache reden konnte. Nicht, weil er dem Botschafter misstraute. Aber Islers These war derart ungewöhnlich, dass sich Mattei nicht in die Position bringen wollte, sich rechtfertigen zu müssen.
Vor einer halben Stunde hatte Mattei, am Fenster der Schweizer Residenz sitzend, Marine One zum Weißen Haus fliegen sehen. Das Herz der US-Regierung befand sich genau in der Fluchtlinie zum Obelisken. Allerdings konnte man es von der Botschaft aus nicht sehen, da das Weiße Haus nur zwei Stockwerke hoch war
Mattei erinnerte sich an ein Gespräch mit David Isler, das er vor Jahren mit ihm geführt hatte. Eigentlich war es mehr ein Referat gewesen, das Isler zum Thema schweizerisch-amerikanische Beziehungen gehalten hatte. Mattei war der Enthusiasmus aufgefallen, den Isler ausgestrahlt hatte.
Damit stand Isler in einer langen Linie schweizerischer Tradition. Ebenso wie die Schweiz waren auch die USA aus dem brennenden Wunsch entstanden, die Unterdrückung durch imperiale Herren nicht länger hinzunehmen. Mattei war nach seiner Rückkehr aus dem State Department lange vor dem Stich gestanden, der in der Lobby der Botschaft hing. Er zeigte zwei Köpfe. Den von George Washington. Und den von Wilhelm Tell. Die Helden der unsterblichen Freiheit hatte der Künstler vor über zweihundert Jahren seine Darstellung betitelt.
Es war der Schweizer Rodolphe Valltravers, der in einem intensiven Schriftverkehr mit einem der Gründerväter der USA, Benjamin Franklin, den Begriff der Schwesterrepubliken geprägt hatte. Obwohl ich nicht ein Amerikaner von Geburt bin, hatte Valltravers an Franklin geschrieben, bin ich Amerikaner aus Überzeugung.
Während des Bürgerkriegs zwischen der Union – den Nordstaaten – und der Konföderation – den Südstaaten – griffen die sklaventreibenden Südstaaten Handelsschiffe der Union mit Kriegsschiffen aus britischer Produktion an. Nach dem Krieg bezichtigte Washington die Briten der kriminellen Fahrlässigkeit, da sie es zugelassen hatten, dass die Konföderation auf diese Weise gegen die Handelsschifffahrt der Union vorgegangen war. 1872 wurde in der Schweiz über den Fall verhandelt. In der Folge musste Großbritannien eine Entschädigung von über fünfzehn Millionen Dollar an die USA entrichten.
Hundert Jahre nach dem Bürgerkrieg spielte die Schweiz eine kleine, aber wichtige Rolle während der Kuba-Krise. Da die USA zu Kuba – ebenso wie zum Iran – keine diplomatischen Beziehungen unterhielten, hatte Washington ein Abkommen mit der Schweiz, zwischen den Ländern als Liaison zu fungieren. Am 22. Oktober 1962 rief der Schweizer Botschafter im Auftrag von Präsident Kennedy in Havanna an, um mitzuteilen, dass die in der kommenden Nacht über Kuba fliegenden U-2-Flugzeuge der USA keine Bomben werfen, sondern nur Fotos schießen würden. Castro meldete zurück, dass Kuba die Flugzeuge nicht angreifen werde. Am Abend desselben Tages wandte sich John F. Kennedy mit einer dramatischen Rede an die Welt – im Wissen, dass es in dieser Nacht nicht zu Kampfhandlungen kommen würde.
»Was soll ich nur tun?«, murmelte Mattei vor sich hin und seufzte. Adams nichts sagen und damit möglicherweise einen Fehler von historischer Tragweite begehen? Oder mit der Präsidentin sprechen und, wenn Isler nicht recht hatte, so das Ende seiner Karriere einleiten?
Mattei entschied, die Entscheidung auf morgen zu vertagen. Er atmete tief durch, stand auf und ging zum Büro des Botschafters, mit dem er sich zu einem Gedankenaustausch verabredet hatte. Nur über ein Thema, da war sich Mattei sicher, würde er mit dem Botschafter nicht sprechen.
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Sonntag, 11. September 2016 15.23 CDT / 22.23 MESZ
David Isler kannte die Abgründe der Zeitgeschichte ebenso gut, wie sie den meisten anderen Menschen fremd waren. Trotzdem hatte er keinen Hang zur Depression. Das Scheitern von Präsidentin Adams im Amt hatte er mit großem Bedauern beobachtet. Sie hatte versucht, das Ruder herumzureißen. Aber man hatte sie mit einer gezielten Kampagne neutralisiert. Doch jetzt ging es um mehr als eine andere Politik. Für die USA ging es ums Überleben. Umso mehr war er bereit, seine Karriere im SND aufs Spiel zu setzen, um das Schlimmste zu verhindern.
»Hast du Amerika schon
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