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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Überzeugung dahinter, Religion, Vitalität. Auf keinen Fall durfte man sich vor dem Parteigenossen als der Skeptiker zeigen, der man in Wirklichkeit war; Leichtsinn, Frivolität waren nicht angebracht. Was er da gefragt hatte: »Wie lebt es sich jetzt in Paris«, klang ein bißchen nach Examen, nach Katechisierung. Wahrscheinlich hatte man Heydebregg allerhand über seinen libertinen Lebensstil zugeflüstert. Es wäre sinnlos, sich als braver Schüler aufzuspielen und seinen freiheitlichen Wandel zu verleugnen. Er lebe hier sehr pariserisch, gab also Wiesenerzu. Doch tue er das mit inneren Vorbehalten. Er füge sich in die Pariser Sitten nur deshalb, weil das der einzige Weg sei, bestimmte Ziele zu erreichen, von denen er glaube, sie seien der Partei förderlich. Er wollte das Leben, das er hier in Paris führte, als eine nordische Liste hinstellen; Heydebregg sollte es für eine Maske nehmen, die Wiesener nur trug, um den Gegner irrezuleiten.
    Der Parteigenosse hörte sich seine behutsame Rechtfertigung an. Er hielt die fast weißlichen, sonderbar leblosen Augen so unverwandt auf Wiesener gerichtet, daß dem schon unbehaglich wurde. Hatte er den falschen Weg eingeschlagen? Es erwies sich, daß er das Rechte getroffen hatte. Heydebregg nämlich, als Wiesener zu Ende war, sagte auf seine ruhige, korrekte, oberlehrerhafte Manier: »Ja, ohne die sogenannte nordische List kommt man hier wohl nicht aus«, und: »Ich danke Ihnen«, fügte er hinzu, gönnerhaft, ein General, der den Bericht eines Unterführers entgegennimmt und billigt.
    Wiesener, so verabschiedet, hatte noch die Genugtuung, daß Heydebregg ihn aufforderte, ihn an einem der nächsten Tage zum Zweck einer längeren Aussprache aufzusuchen.
    Der Parteigenosse Heydebregg war im Hotel Watteau abgestiegen, einem ruhigen, vornehmen Hotel von altem Ruf in der Nähe des Triumphbogens. Steif, ungelenk, die großen Füße vorgestreckt, saß er in dem zierlichen, blausamtenen Rokokosessel; ihm zu Häupten, auf dem leichtfertigen Bild Bouchers, wandte die nackte Miß O’Murphy, bäuchlings auf dem Lager ausgestreckt, dem Beschauer ihren holden Hintern zu. Wiesener, bemüht, es den andern nicht merken zu lassen, mußte immer wieder auf die riesigen, weißhäutigen Hände des Mannes starren, die er unbewegt auf seinen Schenkeln hielt, so daß er auf seinem kleinen Sessel saß wie eine ägyptische Königsstatue.
    »Ein Teil meiner sogenannten Sendung«, eröffnete Heydebregg seinem aufmerksamen Partner, »besteht darin, mit dem Gemecker des Emigrantengesindels Schluß zu machen. DasGeschrei, das man im Fall Benjamin erhob, hat in Berlin Ärgernis erregt. Der nationalsozialistische Staat hat es satt, sich von diesen Jämmerlingen behelligen zu lassen.«
    Wiesener hörte zu, diszipliniert, mit gesammelter Ehrfurcht. Allein das schwarze Band, welches Herr Heydebregg um den Ärmel trug, der Trauerflor, lenkte ihn ab. »O lieber Tod von Basel.« Heydebregg sollte das Geschrei erledigen, das man um den Fall Benjamin machte: nicht den Fall selbst? War der erledigt? Hatte man das fait accompli geschaffen? Die lähmenden, tief unbehaglichen Vorstellungen kamen wieder, welche Wiesener nach dem Artikel Trautweins heimgesucht hatten, die quälende Frage: war der Mensch, um den es ging, noch in der Welt?
    Diese Gedanken verhinderten Wiesener, sich rechtzeitig auf eine gute Antwort zu besinnen. Er war überrascht, als Heydebregg zu Ende war, und erwiderte unbedacht. »Diese Angriffe«, sagte er in seinem gewohnten, beiläufigen, etwas hochmütigen Ton, »können uns doch nicht die Haut ritzen. Die ›Pariser Nachrichten‹. Der gewisse Herr Trautwein. Wer große Dinge tut, kann sich nicht darum kümmern, ob man ihn bekläfft. ›So will der Spitz aus unserem Stall / Uns überall begleiten. / Doch seines Bellens lauter Schall / Beweist nur, daß wir reiten.‹« – »Von wem ist das?« fragte Heydebregg; in seiner Stimme war eher Mißbilligung. »Von Goethe«, erwiderte Wiesener. »Wie immer«, sagte Heydebregg, »das Geschrei der Emigranten stört in Berlin. Wir wünschen die Stimme Herrn Trautweins nicht länger zu hören, wir wünschen die ›Pariser Nachrichten‹ nicht länger zu sehen.«
    Wiesener erschrak. Er hat sich gehenlassen, er hat seinen Verstand nicht zu Rate gezogen; was der Parteigenosse gesagt hat, ist eine Zurechtweisung. Das kommt von seinem verdammten Anstand. Er hat sich, aus purem Anstand, schützend vor die Emigranten gestellt und gegen die Macht. Ist er

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