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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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wahnsinnig? Hier geht es um seine Existenz, und er leistet sich den Luxus einer unangebrachten und überdies aussichtslosen Humanität. In ihm dachte, fühlte, wollte es wirr und vielfältigdurcheinander. Er sah die scheußlichen, weißhäutigen Hände Heydebreggs, manikürt und erschreckend brutal, er sah die hellen, sonderbar leblosen Augen, die ungeschlachten Stiefel. Eine Offenbachmelodie stieg in ihm auf. »Höret die Stiefel, sie knarren, sie knarren«, so oder so ähnlich lautete der Text, und: »So schreitet nur ein Präsident«, und dahinein mischte sich ihm der Tod von Basel. Wie wäre es, wenn er den Mann direkt fragte: Gibt es eigentlich den Fall Benjamin noch? Oder hat man ein fait accompli geschaffen? Der Parteigenosse könnte ihm sicher Auskunft geben. Er dürfe kein Schwein werden, hat ihn Lea beschworen. Umgekehrt ist es richtig. Er muß den innern Schweinehund in sich besser erziehen, damit der rechtzeitig bellt, sonst kommt er nicht weiter. Leider, das hat sich ja gerade gezeigt, ist er viel zuwenig Schwein von Natur. Aber solch ein Narr ist er nun doch nicht, daß er sich nur um Leas willen zwischen das Lamm des Armen stellte und den reißenden Wolf. Wohin verirrt er sich denn da schon wieder? Nimm dich zusammen, Erich. Es geht jetzt nicht um Psychologie, und es geht nicht um Lea. Du hast eine Nase gekriegt. Darum geht es. Der Parteigenosse Heydebregg hat den Parteigenossen Wiesener gerüffelt, und da der Parteigenosse Heydebregg sehr mächtig ist, tut der Parteigenosse Wiesener gut daran, aus der Situation zu retten, was noch zu retten ist.
    So ungefähr also denkt, spürt, will Erich Wiesener in den zwei Sekunden, die er nach den Sätzen Heydebreggs verstreichen läßt. Dann aber hat er sich zusammengerissen und die rechte Rückzugsmethode gefunden. »Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, Parteigenosse«, erklärte er mit dem angebrachten Mittelton zwischen Vertraulichkeit und Entschuldigung, »daß mich selber die Hetzartikel des Gelichters verdammt gekratzt haben. Aber ich glaubte, es sei vielleicht meine persönliche Journalisteneitelkeit, Konkurrenzpsychose und so. Ich war überobjektiv und wollte es vermeiden, ein vielleicht persönliches Ressentiment zur Parteisache zu machen. Was Sie mir da sagen, ist einfach großartig. Ich bin heilfroh darüber, daß Berlin Weisung gibt, mit dem Geschrei der Burschen Schlußzu machen.« – »Sie sollen kein Schwein werden«, hat Lea gesagt, das vulgäre Wort ist fremdartig zwischen ihren großen, weißen Zähnen herausgekommen. »Wenn Sie dergleichen täten, das hätte Folgen auch für unsere Beziehungen«, hat sie gesagt. Aber er tut ja nichts, er läßt nur den andern tun, und soll sich ein einzelner Mann gegen einen dahinrasenden Schnellzug stellen?
    Wenigstens scheinen seine Worte gewirkt zu haben. Der Parteigenosse kommt nicht mehr auf seine Entgleisung zurück, sondern läßt sich herbei, seine weitere Taktik darzulegen. »Jedenfalls«, erklärte er, »wollen wir uns in Zukunft gegen solche Schweinereien sichern, wie sie die ›P. N.‹ angerichtet haben. Wir wollen die sogenannten Emigranten und ihre Presse im ganzen erledigen.« Und seine tiefe Stimme fragt gelassen und geradezu: »Was ist Ihr sogenannter fachmännischer Rat, Parteigenosse? Wie, raten Sie, soll man praktisch gegen diese ›P. N.‹ vorgehen?«
    Als diese Frage ihn so hart und unvermittelt ansprang, spürte Wiesener einen kleinen Schlag. Er hätte voraussehen müssen, daß Heydebregg seine Meinung zum Thema der »sogenannten Emigrantenpresse« einholen werde, und jetzt stand er da, schwitzend, ein unglücklicher Kandidat im Examen. Aber vorbereitet oder nicht, antworten mußte er. Hundert Wege, hatte er zu Lea gesagt, gebe es, die »P. N.« zu vernichten. Es gab keine hundert Wege, aber einige immerhin, und er wußte sie.
    Darf er sie zeigen? Er darf. Er wird. Er hat sein möglichstes getan, menschlich zu bleiben. Er darf vor sich selber und vor Lea ruhigen Gewissens behaupten, er habe sich gegen die »P. N.« und gegen seine früheren, gedemütigten Kollegen mit ungewöhnlicher, sagen wir es offen, mit unerwarteter Anständigkeit benommen. Er hat Leas Bitte, das Lamm des Armen zu schonen, im Bereich des Möglichen erfüllt. Jetzt aber geht es um die Wurst, jetzt geht es um die eigene Haut. Da sitzt dieser Parteigenosse vor ihm, er hat außerordentliche Vollmachten, er hält sein, Wieseners, Schicksal in seinen Händen.Im Augenblick sieht man nicht, was für gefährliche Hände das

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