Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
allen andern hervorragenden Parteigenossen, sich zu bereichern oder sichtbare Zeichen der Macht anzunehmen. Wiesener war voll von einer unbehaglichen Spannung, als Spitzi ihm vorschlug: »Kommen Sie jetzt, mon vieux, und erproben Sie Ihre eigene geschätzte Nase an dem Neuen. Ich stelle Sie vor.«
    »Parteigenosse Wiesener von der ›Westdeutschen Zeitung‹?« fragte Heydebregg, als ihm Spitzi Wieseners Namen nannte, und: »Wir sind es im Reich nicht unzufrieden«, fuhr er fort, »Sie hier als Berichterstatter zu haben.« Wiesener atmete auf. Zwar war er einen so herablassenden Ton nicht gewöhnt, aber nach der Ungewißheit der letzten Tage waren ihm die Worte des mächtigen Mannes eine Erleichterung.
    Während er höflich Belangloses erwiderte, betrachtete er den Neuen. Heydebregg war ein bißchen kleiner als er selber,doch breiter, wuchtiger, gedrungener, sorgfältig, etwas altväterisch angezogen. Riesige, ungefüge Füße fielen auf, die schwarze, gewaltige Krawatte, die den Westenausschnitt ganz ausfüllte, und das Trauerband um den Ärmel. Über dem steifen Kragen lastete ein schwerer Schädel, der beinah schläfrig wirkte. Wäre nicht das entschlossene Kinn gewesen. Das Gesicht war groß, die Haut bläßlich, die blaugrauen, fast weißlichen Augen lagen tief und schauten ruhig, beinah stumpf und dennoch bedrohlich unter fast wimperlosen Lidern, die dunkeln, leicht angegrauten Haare trug Heydebregg kurzgeschnitten. Die Stimme des Mannes klang tief, sonderbar teilnahmslos, doch weithin vernehmbar. Seine Bewegungen waren korrekt, gezirkelt, und vor allem wenn er nickte oder sich verbeugte, was er nicht selten tat, schier marionettenhaft.
    Es kam kein rechtes Gespräch auf, immerzu mischten sich Dritte ein; Wiesener ließ sich indes von Heydebreggs Seite nicht mehr abdrängen. Er achtete auf alles, was der Mann und wie er es von sich gab. Heydebregg sprach bald deutsch, bald französisch, je nach dem Zuhörer, sein Französisch war schülerhaft, korrekt und umständlich, er sprach es mit ostpreußischem Akzent, ungeölt. Er war schon vor dem Krieg in Paris gewesen und ein zweites Mal längere Zeit während der großen Frankeninflation. Heute stellte er völkerpsychologische Betrachtungen an, er dozierte über die Oberflächlichkeit der Franzosen, über ihre Mischung aus Bürokratie und Schlamperei, über ihre Begabung für Form und Farbe und ihren Mangel an Verständnis für das Wesen, für die Gestalt. Er trug seine Banalitäten autoritativ vor, als wären sie mathematische Lehrsätze und er eingesetzt, den Franzosen eine Zensur zu erteilen, die für immer durch die Weltgeschichte gehen werde. Herr Heydebregg mochte Mitte Fünfzig sein, seine Ansichten hatten sich verkrustet; gerade diese Sturheit gab ihm eine ungeschlachte Energie, die Wiesener trotz eines heimlichen Lächelns Respekt abzwang.
    Ab und zu hob Heydebregg die Hand, eine ungeheure, plumpe, brutale, sehr gepflegte, weißhäutige Hand. Ihre Gepflegtheit,notierte sich innerlich Wiesener, unterstrich nur, wie gemein sie war. Heydebregg versuchte denn auch, seine Hände eng am Körper zu halten, sie zu verstecken, und manchmal ballte er sie; doch lenkte er dadurch ebenso wie durch seinen mächtigen, altfränkischen Siegelring nur erst recht die Aufmerksamkeit auf die Plumpheit seiner Hände. Es fiel Wiesener schwer, den Blick davon abzuwenden.
    Heydebregg ließ sich nieder, die Schwänze des langen Rockes sorgfältig beiseite schiebend, und zog die gestreifte Hose an den Knien etwas herauf; schwarze Wollsocken, stark angespannt, kamen zum Vorschein. Er lud Wiesener mit einer Handbewegung ein, sich zu ihm zu setzen. Der sonst so hochfahrende Wiesener buchte das als einen Erfolg und äugte mit spitzbübischem Lächeln zu Gehrke hinüber.
    »Wie lebt es sich jetzt in Paris, junger Mann?« fragte Heydebregg gnädig, als die andern sie für eine Weile allein ließen. »Junger Mann«, er freute sich, diese Anrede gefunden zu haben; sie war scherzhaft, ein bißchen pariserisch, und drückte gleichzeitig das rechte Vertrauensverhältnis und den notwendigen Abstand aus.
    Wiesener war sich mittlerweile über die Taktik klargeworden, die er Heydebregg gegenüber einschlagen wollte. Leicht wird es bestimmt nicht sein, mit dem engstirnigen, brutalen Menschen auszukommen. Dabei verlieh gerade seine Enge dem Manne Kraft und Sicherheit. Mochte man das Protestantische, Puritanische, Beamtenhafte, das von ihm ausging, subaltern finden und pedantisch, es stak zweifellos

Weitere Kostenlose Bücher