Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
beschmiertes Gesicht zu einer bittern Grimasse. Es ist eine Schande, daß sie mit einem solchen Manne nicht Schluß macht.
Wenn sie ihre Vernunft hätte anwenden wollen, hätte sie schon lange sehen müssen, daß die Sache mit Erich nicht gut ausgehen kann. Ein Wunder, daß sie so lange gut gegangen ist. Aber ist sie denn gut gegangen? Mit dem Jungen mußauch was vorgefallen sein. Er hat sich verändert, er ist manchmal ganz verstört. Wäre sie nicht feig, dann würde sie ihn nicht so herumgehen lassen, dann würde sie mit ihm über die Affäre sprechen. Aber sie schämt sich einfach vor ihm. Manchmal versucht sie sich einzureden, daß ihm vielleicht die Geschichte nicht zu Ohren gekommen ist. Das ist natürlich Unsinn. Natürlich weiß er davon; sonst wäre er nicht von einem Tag zum andern soviel schweigsamer geworden, so alt und hager für seine Jahre. Es ist schäbig von ihr, sich nicht mit ihm auszusprechen; aber sie hat Angst davor, ihre verworrenen Gefühle noch weiter zu verwirren.
Es fällt ihr verdammt schwer, die Dinge bei ihrem rechten Namen zu nennen, aber es hat keinen Sinn, sich auch noch weiter was vorzuschwindeln. Es ist schon nicht anders: sie ist bei ihrem Erich geblieben aus den gleichen Gründen, aus denen ein kleines Ladenmädel bei seinem Freund bleibt, auch wenn sie weiß, daß er nichts taugt, oder eine Hure bei ihrem Maquereau. Sie ist deshalb bei ihm geblieben, weil sie ihn liebt. Das Ganze ist nicht weiter interessant, es ist kein Problem und keine Tragödie, es ist ungeheuer simpel und banal. Er will einfach seine Karriere nicht aufgeben, das ist alles, und sie weiß, daß er ein Lump ist, und wenn sie trotzdem bei ihm bleibt, dann, weil sie sich ein für allemal in ihn vergafft hat. Sie hängt eben an ihm, dagegen hilft keine Vernunft.
Das heißt: ein Lump? In der Sache mit Friedrich Benjamin und in der Sache mit den »P. N.« hat sie ihm unrecht getan. Und als Karrierist hat er sich zumindest in seiner Freundschaft mit ihr auch nicht gezeigt. Diese Geschichte mit dem Artikel in den »P. N.« ist für ihn viel brenzliger gewesen als für sie, und er ist gescheit genug, um von Anfang an gewußt zu haben, daß so etwas einmal passieren muß. Sie hat nichts zu verlieren, sie ist unabhängig, ihr kann es gleich sein, ob die Leute sich über ihre Freundschaft mit Erich die Mäuler zerreißen. Aber er hat für diese Freundschaft alles aufs Spiel gesetzt. Wahrscheinlich gibt es eine Menge Leute, die es ihm verübeln, daß er so lange bei ihr geblieben ist.
Aber das geht sie nichts an. Das ändert nichts an ihrer Erkenntnis, daß ihre Beziehungen zu ihm schief sind, eine Schande. Sie will nicht von neuem anfangen, sich das zu vernebeln.
Wie beiläufig er ihr mitgeteilt hat, daß Friedrich Benjamin lebt. Wenn sie an das Gesicht denkt, das er dabei gemacht hat, an seinen Tonfall, dann lächelt sie in der Dunkelheit. Sie kennt ihn gut. Sicher hat er lange daran studiert. Der Takt, mit dem er es hinuntergeschluckt hat, daß also er recht habe, hat geradezu geschrien. Eigentlich ist es rührend, wie sehr er sich bemüht, sich bei ihr wieder in Geltung zu bringen.
Sie will sich nicht rühren lassen. Sie muß Schluß mit ihm machen. Selbst wenn sie über die Verachtung wegkommt, die sie für ihn spürt, sie kommt nicht weg über die Verachtung vor sich selber.
Sie wird natürlich nicht Schluß machen. Sie liebt ihn. Es ist eine Schande, aber es ist schön. Es ist schön, einen Menschen zu lieben. Was bleibt ihr vom Leben, wenn sie mit ihm Schluß macht? Marieclaude wird sagen, das war tapfer von dir, noch einige andere werden ihr das sagen, sie selber darf es sich sagen. Aber was hat sie davon? Nein, sie liebt ihn. Und es ist gut, und sie freut sich, daß sie unrecht gehabt hat und daß Friedrich Benjamin lebt und daß Erich gerechtfertigt ist.
Wiesener, der Fatalist, fand beinahe Gefallen an der Zwangslage, in die er sich durch seine vermessenen Worte vor Lea hineinmanövriert hatte. Jetzt mußte er, ob er wollte oder nicht, bewirken, daß das Nilpferd wieder in der Rue de la Ferme erscheine. Er mußte binnen kurzer Frist die frühere Freundschaft mit Heydebregg wiederherstellen.
Mit kluger Berechnung hielt er sich vorläufig im Rahmen des Amtlichen, färbte aber seine Unterordnung unter den Willen des Vorgesetzten so, daß dieser jederzeit vertraulichere Töne anschlagen konnte, ohne sich was zu vergeben. Das Unternehmen gegen die »P. N.«, äußerte etwa Wiesener, beanspruche viel Zeit,
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