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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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damit habe Herr von Gehrke recht,und die Verlockung zu ungebührlicher Zögertaktik liege nahe. Sei es anmaßend, wenn er den Parteigenossen bitte, ihm eine Frist zu setzen? Er wäre glücklich, wenn Heydebregg diese Frist so bemessen wollte, daß er, Wiesener, seinen Auftrag noch unter seinen Augen und unter seiner persönlichen Oberleitung durchführen könnte.
    Da Heydebregg Spitzi gewogen und ihn als zu windig befunden hatte, gab es in Paris keinen Menschen, vor dem er sich ein wenig hätte gehenlassen können, und er sehnte sich danach, mit Wiesener wieder einmal als Mann zum Manne zu reden. Wiesener hatte seine Vollmacht überschritten, aber er hatte ihn diesen Verstoß lange genug entgelten lassen und durfte es sich erlauben, dem Reuigen die Hand hinzuhalten. »Ich möchte Sie nicht an eine Frist binden«, erwiderte er. »Ich selber hasse bei so delikaten Geschäften die sogenannten Termine. Aber da Sie einmal danach fragen, so nehmen Sie zur Kenntnis, daß ich die Absicht habe, diese Stadt Paris im Herbst zu verlassen. Wenn Sie bis dahin am Ziel sein könnten, wäre mir das lieb.« Daß Heydebregg, der sonst von seinen persönlichen Plänen niemals sprach, so offen zu ihm war, bedeutete Wiederannäherung. »Ich werde am Ziele sein«, sagte mit Schwung Wiesener.
    Von da an gewann er rasch Terrain. Schon vor Ablauf einer Woche hielt er den Parteigenossen für sturmreif. Beiläufig, mit unschuldiger Miene, fragte er ihn, ob er sich nicht einmal wieder in der Rue de la Ferme sehen lassen wolle. Heydebregg starrte ihn eine kurze Weile aus seinen stumpfen, weißlichen Augen an, die riesige Hand ballte sich zur Faust und öffnete sich wieder, marionettenhaft. Wiesener konnte nicht atmen; ihm war, als wäre er von einem hohen Turm ins Wasser gesprungen, und nun hat das Meer über ihm zusammengeschlagen, und er wird nie wieder hochkommen.
    Wolkig unterdes brodelten in Heydebreggs schwerem Schädel Gedanken und Gefühle. Ein schlauer Hund, dieser Wiesener, dachte er, ein frecher Hund. Er will mich festlegen, mich zu seinem Komplicen machen, zu seinem Spießgesellen.Recht hat er. Es gefällt mir, daß er zu seiner Sache steht. Wenn er nicht ein Kerl wäre, dann hätte er nach der Affäre mit den »P. N.« diese Madame de Chassefierre einfach links liegenlassen. Aber ihr Bild hängt noch immer groß und breit in seinem Empfangszimmer. Ein bißchen verändert hat sie sich, aber erkennen muß sie jeder. Sie ist die gleiche geblieben. Älter werden wir alle. Auch auf dem Bild hat sie die Arme nackt. Da ich einmal ja zu ihm gesagt habe, werde ich durchhalten. Dein Ja sei Ja, und dein Nein sei Nein. Vor allem eins, mein Kind, sei treu und wahr. Soll ich mich vielleicht selber durch das Gequatsch des sogenannten Emigrantenpacks einschüchtern lassen? Ich hab mich entschlossen mit Herz und mit Hand. Ich hau ihn heraus, ich stell mich vor ihn hin.
    Laut und langsam, mit seiner tiefen, knarrenden Stimme, sagte er: »Mal sehen, junger Mann. Wir werden Ihren Vorschlag diesseits in Erwägung ziehen.« Und fast ebenso wie die Tatsache, daß er Heydebregg herumgekriegt hatte, beglückte Wiesener die scherzhafte Form, in welche der Parteigenosse seine Zustimmung kleidete.
    Leas mattfarbiges Gesicht blieb unbewegt, als Wiesener ihr mitteilte, Heydebregg würde sich freuen, ihr wieder einmal guten Tag zu sagen, und ihre etwas zu hohe, eigensinnige Stirn blieb klar wie stets. Weniger klar waren die Gedanken hinter dieser Stirn.
    Es ist also wirklich so, wie Erich ihr versichert hat: die Praxis der Nazi ist nur halb so schlimm wie ihre Rassentheorie – die Tatsache, daß das Nilpferd sich darum bewirbt, ihr von neuem seine Aufwartung zu machen, beweist es –, und die Leute von den »P. N.« sind hysterisch und haben übers Ziel hinausgeschossen. Aber genügt nicht für diesen Beweis Heydebreggs Bereitschaft, weiter bei ihr zu verkehren? Soll sie, muß sie die bedenklichen, die skandalösen Beziehungen zu diesem Mann fortsetzen?
    Der Mann an sich wäre so übel nicht. Die Bezeichnung »das Nilpferd«, die ihre Freundin Marieclaude für ihn aufgebrachthat, ist ganz gut. Er hat was von einem Ungetüm an sich. Wenn sie an seine pedantischen, gemessenen Manieren denkt, muß sie lächeln, und eigentlich möchte sie ihn ganz gern einmal wiedersehen. Wenn er nicht zu den Nazi gehörte, dann würde er sie gerade durch seine hintergründige, brutale Gravität mehr reizen als die meisten andern aus ihrem Kreis. Anders als diese andern ist er

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