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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Bezeichnung als das dumme Wort Liebe. Und wenn er daran dachte, daß er durch die geplante Aktion gegen die »P. N.« diese Liebe ernstlich gefährdete, dann war ihm die Freude an seinem Projekt und an seiner Rehabilitierung vergällt.
    So hatten seine Beziehungen zu Lea ausgesehen bis vor zehn Minuten. Jetzt aber hat die Tatsache, daß Friedrich Benjamin unbezweifelbar am Leben war, mit eins alle seine Sorgen zerstreut. Alles war von Grund auf verändert.
    Er hielt vor seinem Haus. Fuhr in seine Wohnung hinauf, ging in sein Ankleidezimmer. »Toreador, Toreador«, pfiff er und, höhnisch: »O lieber Tod von Basel«, während er sich auszog und es sich bequem machte. Dann, in seinem prunkvollen, schwarzen Schlafrock, ging er auf und ab, halb ein Cäsar, halb ein Samurai, und fühlte sich als ein Mann, dem seine Nächsten greuliches Unrecht zugefügt, den aber jetzt die Ereignisse glorreich gerechtfertigt haben.
    Denn wie steht er nun vor Lea da? Sie hat sich von den Untertönen des gewissen Trautwein einfangen lassen, sie hat an das fait accompli geglaubt. Hat ihn der ideologischen Mitschuldan diesem fait accompli bezichtigt, hat es für möglich gehalten, daß er ein »Schwein« werde, und ihm das Versprechen abgepreßt, nichts gegen die »P. N.« zu unternehmen. Jetzt aber stellt sich heraus, daß Benjamin lebt, sie hat ihm bitter unrecht getan, und alle Voraussetzungen sind falsch, auf denen ihre Bezichtigungen und seine Versprechungen basierten. Auch der tifteligste Sittenrichter muß zugeben, daß er jetzt seines Versprechens entbunden ist. Lea kann ihm nicht den leisesten Vorwurf machen, weder aus dem Verstand noch aus dem Gefühl heraus, wenn er das Projekt gegen die »P. N.« durchführt.
    Daß er bei jenem fatalen Telefongespräch so gehemmt, befangen und ungeschickt war, daran war auch nur der Zweifel schuld, ob nicht vielleicht doch der Tod von Basel eingegriffen habe. Jetzt ist es vorbei mit solchen Hemmungen. »Die Wolken all, die unser Haus bedräut, sind in des Weltmeers tiefem Schoß begraben.« Er freute sich kindisch auf sein nächstes Zusammensein mit Lea, auf die unbeteiligte Geste, wie er ihr mitteilen wird, daß Friedrich Benjamin lebt. Er bereitete sich jetzt schon auf die diskrete Großmut vor, die er in dieser Unterredung zeigen wird.
    Er zog das Grammophon auf, setzte sich in den tiefen Ledersessel, spielte sich die Coriolan-Ouvertüre vor. Wieder schwellte ihn der Siegesjubel, der ihn hochgehoben, als Heydebregg erklärt hatte: »Ich habe mich entschlossen, das Projekt des Parteigenossen Wiesener auszuführen.« Er überlegte, was er Lea sagen, was sie wohl erwidern wird. Die Platte war abgelaufen, er spielte sie ein zweites Mal. Während die leisen, dumpfen Paukenschläge der Coriolan-Ouvertüre von neuem ertönten, arbeitete seine rasche Phantasie in die Zukunft. Schon war es soweit, schon hatte er den Puritaner Heydebregg depraviert und in der Hand. Er war voll von Triumph. Er war Friedrich Benjamin geradezu dankbar, daß er lebte, und Heydebregg, daß er ihn hatte leben lassen.
    Tief in der Nacht, die diesem bewegten Tag folgte, saß Wiesener vor dem großen, dicken, in solide, leinwandüberzogeneDeckel gebundenen Manuskript der Historia Arcana. Er saß in seinem Schlafzimmer, im Pyjama, und mit dem Füllfederhalter, in gejagten, stenographischen Zeichen, trug er ein:
    »›Übrigens, Friedrich Benjamin lebt, seine Frau hat einen Brief von ihm.‹ Ich hatte genau vorbereitet, wie ich ihr das hinlegen würde, kühl, beiläufig, und so brachte ich es auch heraus. Ich habe mich nicht etwa verleiten lassen, zu sagen: ›Unser Friedrich Benjamin‹ oder ›Ihr Friedrich Benjamin‹; ich habe auch nicht hinzugesetzt: ›Davon teilt Ihr sauberer Herr Trautwein seinen Lesern natürlich nichts mit.‹ Ich war gut in Form, ich habe mich beherrscht, ich habe mich beschränkt auf die trockene, beiläufige Mitteilung der Tatsache, und es kam alles genauso heraus, wie ich wollte.
    Ich hatte richtig kalkuliert, und die Nachricht hat Lea in den Grundfesten erschüttert. Da hatte sie es: sie hat mich zu Unrecht verdächtigt, ich stehe schneeweiß da. Im Grund ihres Wesens ist sie gerecht; man hat ihr ordentlich ansehen können, wie es sie bewegte, daß sie mir unrecht getan hat.
    Eine Eselei ist mir unterlaufen, trotz aller Selbstbeherrschung. ›Dieser Trautwein‹, habe ich gesagt, ›hat vielleicht im Ernst geglaubt, daß Friedrich Benjamin nicht mehr in der Welt sei. Die Leute sind so haßblind, daß

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