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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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sei sinnlos. Große Franzosen und Engländer, Swift zum Beispiel oder La Rochefoucauld, hätten darüber nicht anders gedacht als wir Nationalsozialisten. Und aus dem gleichen Grund, aus dem man solche Männer verehre, schelte man uns Nationalsozialisten Hunnen und Barbaren.
    Das also setzte er Lea auseinander, in seinem Lesebuchfranzösisch, gemessen, korrekt. Lea schaute ihn an, wie er dasaß, würdig, massig, altväterisch, die Schöße des langen, hellgrauen Rocks sorgsam zurückgeschlagen; das Zwielicht der Kerzen flackerte über seinem wuchtigen Schädel.
    Da zappelte er sich ab, ihr die Naziideologie schmackhaft zu machen. Ach, damit wird er kein Glück haben. Was er vorbringt, hat sie sich alles selber schon gesagt, in Zeiten, die jetzt abgelebt sind. Es klingt nach etwas, was er ihr da erzählt, sicher ist er überzeugt, die Wahrheit zu sprechen: sie aber weiß, daß es Unsinn ist. Dabei ärgert sie sich nicht über sein Gerede, sie verspürt auch keine von den übeln Sensationen, die sie fürchtete, als sie schwach geworden ist und Wiesener nachgegeben hat. Aber sie hört nur mit halbem Ohr zu und hat keine Lust, auf seine Darlegungen einzugehen.
    »Das Kerzenlicht steht Ihnen gut, Herr Heydebregg«, sagt sie statt aller Antwort. »Ein traditioneller Rahmen steht Ihnengut. Sie haben ein Gesicht aus einem andern Jahrhundert. Wir veranstalten ab und zu draußen im Garten Liebhaberaufführungen; es wäre fein, wenn Sie bei so was mitmachten.«
    Heydebregg war verblüfft. War das alles, was Lea auf seine Ausführungen zu erwidern hatte? Überdies war, was sie ihm da gesagt hatte, ein fragwürdiges Kompliment. Die Partei machte alles frisch und neu, ihre Menschen waren neue Menschen und pfiffen auf die sogenannte Tradition. Aber wahrscheinlich hatte ihm Madame de Chassefierre etwas Liebenswürdiges sagen wollen. Er begnügte sich, nachsichtig zu lächeln, und sann darauf, was er seinesteils ihr Angenehmes sagen könnte.
    Ihrer Freundin Marieclaude hatte Lea boshafter- und spaßhafterweise Herrn von Gehrke zum Tischnachbarn gegeben. Spitzis hübsches Gesicht saß jugendlich, dreist anmutig, über dem rehbraunen, englisch lässig geschnittenen Anzug. Lächelnd atmete er die Luft des Feindes. Lea war anders als das Bild, das er in Wieseners Bibliothek gesehen hatte. So mattfarbige Frauen altern schnell, eine leise Welkheit war über ihr. Aber ihr Gesicht war lebendiger als auf dem Bild, sie mußte viel erlebt und gedacht haben, Spitzi hatte nicht gern mit allzu intellektuellen Frauen zu tun, aber er begriff, daß von Lea ein großer Reiz ausging.
    Er witterte, daß Wiesener nun wohl auch diese Frau und ihr Haus, das hieß sein Privatleben, mit einsetzen wollte in dem Kampf um seine Karriere. Einsatzbereitschaft hatte der Mann, das mußte man ihm lassen. Eigentlich war es eine Frechheit, daß man ihn eingeladen hatte. Wiesener hatte ihm wohl zeigen wollen, daß die Angelegenheit mit dem Artikel der »P. N.« gänzlich liquidiert war. Sie war ja auch liquidiert. Daß Wiesener dem Parteigenossen das fait accompli zugetraut, hatte seine Stellung nicht erschüttert, es war ein Triumph, daß Heydebregg wieder in die Rue de la Ferme kam, und Wiesener hatte es sich offenbar nicht versagen können, die Rue de Lille aufzufordern, diesem Triumph beizuwohnen.
    Das Abendessen war zu Ende, man nahm den Kaffee im Freien. Die Nacht war angenehm lau, es saß sich gut in dem halbdunklen Garten vor der erleuchteten Fassade des Hauses. Lea hatte ein bißchen getrunken, sie fühlte sich wohl. Sie hat Erich unrecht getan, in Gedanken noch mehr als in Worten. Er ist zuverlässiger, als sie geglaubt. Er hat erklärt, Friedrich Benjamin lebe, und er lebt. Er hat erklärt, das Geschreibe der »P. N.«-Leute über den Rassenwahn der Nazi sei hysterische Übertreibung, und siehe, das Nilpferd ist wirklich wieder bei ihr. Nein, sie darf nicht ständig an ihrem Geliebten herummäkeln und ihm jede Gutgläubigkeit absprechen.
    Sie sieht ihn drüben stehen, allein, und sie schickt sich an, zu ihm hinüberzugehen, ihm was Freundliches zu sagen, verstohlen seine Hand zu nehmen. Es gibt ein gutes Gefühl der Zusammengehörigkeit, in einer Gesellschaft mit dem Freund eine heimliche Zärtlichkeit zu tauschen. Doch auf halbem Weg sieht sie das Nilpferd sitzen. Heydebregg sitzt auf einem niedrigen, viel zu zierlichen Gartenstuhl. Er sieht grotesk aus, ungefüg, gefährlich. Langsam, wie gezogen, weicht sie von ihrem Weg ab, geht zu ihm. Sie hat ein

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