Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
bestimmt.
Erich steht vor ihr, an den Schreibtisch gelehnt. Er hat nicht den leisesten Ton auf seine Mitteilung gelegt, er hat sie schlicht vorgebracht, ohne Kommentar und Gewese, auch jetzt heuchelt er Teilnahmslosigkeit. Dabei weiß sie genau, wie gespannt er auf ihre Antwort wartet. Sie hat ihm in Sachen Friedrich Benjamin unrecht getan, wohl auch in Sachen des Artikels der »P. N.«, und damals am Telefon hat sie sich unverzeihlich gehenlassen. Wenn sie ihm jetzt gar noch erklärt, sie wolle das Nilpferd nicht mehr sehen, dann hat Erich Ursache, wütend zu werden über ihre Launen, ihre Ziererei und Prätentionen.
Aber hat sie sich nicht in einer schmerzhaften Nacht nach langen Erwägungen dazu durchgerungen, Schluß zu machen? Wenn sie es schon nicht über sich bringt, mit Erich zu brechen, muß sie auch noch das ganze Pack in Kauf nehmen, mit dem er zu tun hat? Hat sie es nicht genugsam büßen müssen, daß sie damals, gegen ihren ersten Instinkt, Heydebregg hat kommen lassen? Soll sie ihren Fehler wiederholen?
Sie sitzt auf dem gelben Fauteuil, der sie gut rahmt, und schaut auf Wiesener. Sie sieht das starke Gesicht mit der breiten, wenig gefältelten Stirn, die kleine, gerade Nase, den langen, gutgeschnittenen Mund. Man kann dieses helle, männliche Gesicht kühn nennen oder frech, sie jedenfalls liebt es. Sie muß ihm endlich Antwort geben. Die ganzen Tage über hat sie gewünscht, ihm zu sagen: Jetzt hören wir aber auf mit dem Unsinn, begraben wir unsern stummen, fruchtlosen Streit, lassen wir alles so sein, wie es früher war. Es hat der Aufbietung all ihres Verstandes bedurft, nicht so zu ihm zu reden. Und jetzt ist die Gelegenheit da, jetzt kann sie denstummen, dummen, quälenden Hader ohne große Auseinandersetzung beenden.
Aber dann geht das andere wieder an. Dann handelt sie gegen die Taktik, die sie in langen, bösen Nächten als die einzig richtige erkannt hat. Wenn er übrigens jetzt Heydebregg von neuem zu ihr bringen will, dann ist es doch nur, weil er recht haben will, weil er das Bedürfnis spürt, über sie zu triumphieren.
Und trotzdem, trotzdem, trotzdem. Es ist sicher falsch, was sie macht, aber sie kann ihm den kleinen Wunsch nicht abschlagen. »Wenn Herrn Heydebregg daran liegt«, antwortet sie, »sag ihm, er möge kommen.«
Es traf sich günstig, daß diese ersten Maitage ungewöhnlich warm waren, so daß sich Lea, als sie Heydebregg zum erstenmal wieder empfing, nicht auf das Haus beschränkt sah. Sie hatte an die zwanzig Gäste eingeladen. Sie hatte sich abendliche Kleidung verbeten, man war hell angezogen, frühlingsmäßig, und von Anfang an heiterer Laune.
Die Türen, die vom Speisesaal in den Garten hinüberführten, waren geöffnet, die Kerzen flackerten in dem leisen Wind. Konrad Heydebregg saß neben Lea. Er musterte die Gäste, die Pereyros, die keineswegs nordisch ausschauten, den holländischen Gesandten, Leas Freundin Marieclaude, den jungen Raoul, die übrigen, dunkle und helle, zwischen ihnen seine beiden jungen Leute Wiesener und von Gehrke. Es war kühn, sich mit den beiden Parteigenossen in dieser zusammengewürfelten Gesellschaft sehen zu lassen; man mußte seiner Sache sicher sein, um sich das leisten zu dürfen. Er war seiner Sache sicher.
Von der Seite her betrachtete er Lea. Der Kerzenschein tönte ihr mattfarbiges Gesicht und machte es warm, zart und jung, die große Nase mit dem breiten Nasenbein gab ihr Intelligenz. Sie trug heute ein gelbes Kleid und darüber eine Jacke mit langen Ärmeln, so daß ihre schön sich verjüngenden nackten Arme nicht sichtbar waren. Heydebregg hatte in Englandgelernt, daß man bei Tisch in Gesellschaft weder von persönlichen Dingen sprechen dürfe noch von irgendwie ernsthaften. Allein es verlangte ihn, ihr die falsche Meinung zu nehmen, die sie nach den Verzerrungen solcher Blätter wie der »P. N.« vom Nationalsozialismus haben mochte. Was man uns Nationalsozialisten am meisten verüble, erläuterte er, während er langsam und umständlich von seinem Krebsragout aß, sei die Tatsache, daß wir das verlogene Moralgerede der Demokratien ablehnten. Jedermann wisse, daß die Welt des Rechts und der Verträge eine Fiktion sei; es sei albern, sich so zu stellen, als ob der Schwache allein durch sein Recht geschützt wäre. Von einem Sollzustand auszugehen statt von einem Istzustand, das sei nichts als bequeme Heuchelei. Der Wolf weide nun einmal nicht neben dem Lamm, sondern er fresse es, und sich das Gegenteil vorzumachen
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