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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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fuhr er, mechanisch hielt er vor den roten Ampeln und startete wieder. Noch hatte er sein Gleichgewicht nicht zurückerlangt. Er war erschöpft gewesen von der Anspannung, welche ihn der Kampf mit Spitzi gekostet hatte, und der Dolchstoß, den ihm unmittelbar nach seinem Sieg der andere so meuchlings versetzt hatte, war zu jäh gekommen.
    Was für eine alberne Rolle hat dieser Spitzi ihn vor Heydebregg spielen lassen. Blitzhaft, sogleich, hat Wiesener die Zusammenhänge durchschaut. Natürlich ist es Heydebregg gewesen, der das fait accompli verhindert hat; für wie kleingläubig muß der ihn jetzt halten, daß er der nationalsozialistischen Führung eine so brutale Dummheit hat zutrauen können. Es war ein niederträchtiger Streich von Spitzi. Es gab auf diese Denunziation einfach nichts zu erwidern. Was er zusammengestammelt hat, ist heller Blödsinn gewesen. Er muß dagestanden sein wie ein Watschenmann.
    Allmählich aber, während er durch den Pariser Frühling nach Hause fuhr, schwächte die Erinnerung an die Schmach dieser letzten Minuten sich ab, und vor drang die Freude über seinen Sieg. Ja, bald schien ihm die Gewißheit, daß Friedrich Benjamin lebte, die Krönung dieses Sieges. Wie seltsam, daß ihm das erst jetzt zum Bewußtsein kommt. Wie sonderbar, daß er zuerst nichts gespürt hat als Gekränktheit über diedumme Form, in der die willkommene Nachricht ihn erreichte. Was für eine geringe Rolle im geistigen Gesamthaushalt eines Menschen spielt die Vernunft und was für eine ungeheure das blinde Gefühl.
    War nicht seine Freude an dem Projekt gegen die »P. N.« alle die Tage her beschattet gewesen von der Sorge, wie Lea seine Aktion aufnehmen werde? Freilich hätte die infame Art, wie das Revolverblatt gegen ihn und gegen sie selber gehetzt hat, ihr zeigen müssen, daß es sich bei ihren Schützlingen um etwas sehr andres handelte als um das Lamm des Armen. Doch bei Lea konnte man nie wissen, ob vernünftige Erwägungen imstande sein würden, ihren Starrsinn und gewisse Vorurteile zu brechen. Ihre spröde Stimme damals am Telefon, ihr Verstummen, »Sprechen Sie noch?«, »Sie sollen kein Schwein werden«, das alles waren Gefühlsregungen, gegen die keine Logik aufkam.
    Ganz so schlimm zwar, wie er nach jenem fatalen Telefongespräch hatte fürchten müssen, war es nicht gekommen. Ein Dritter hätte annehmen können, an seinen Beziehungen zu Lea habe sich auch nach dem Artikel der »P. N.« kaum etwas geändert. Es hatte sich aber doch etwas geändert. Als er nach ihrer Rückreise nach Paris eine Aussprache über diesen verfluchten Artikel hatte herbeiführen wollen, als er ihr hatte berichten wollen, wie ritterlich er sich vor dem Parteigenossen zu ihr bekannt hatte, da hatte sie ihm glatt das Wort abgeschnitten. Sie hatte mit beängstigender Gelassenheit festgestellt, Worte könnten an Gefühlen nichts ändern, seine Gesellschaft bereite ihr nun einmal nicht mehr die gleiche Freude wie früher, der Gedanke, ihre Beziehungen könnten einmal zu Ende sein, komme ihr nicht mehr so trostlos vor wie noch vor kurzer Zeit. Sie hatte diese infamen Sätze im Ton freundlicher Konstatierung vorgebracht, sie hatte keine Antwort zugelassen, und Wiesener hatte nicht gewagt, sie zu ironisieren oder zu bagatellisieren. Nicht vor ihr und nicht vor sich selber. Es war ihm schmerzhaft deutlich geworden, daß er sich diese Frau nicht mehr aus seinem Leben wegdenken konnte. Vergebenshatte er seine Vernunft gegen sein Gefühl zu Hilfe gerufen. Ohne Frage klaffte zwischen der wirklichen Lea und dem Bild, das in seiner Bibliothek hing, ein weiter Unterschied. Das Bild stellte eine zarte, junge, höchst reizvolle Frau dar, die wirkliche Lea war eine alternde Jüdin mit einer großen, fleischlosen, ziemlich häßlichen Nase, und in wenigen Jahren wird sie völlig verblüht sein. Aber wenn er sich das noch so oft dürr und deutlich vorsagte, es half ihm nichts. Ihm waren das Bild und die lebendige Lea eines. Vergebens sagte er sich weiter, daß die Beziehungen zu ihr ihm auch in Zukunft mehr schaden als nützen werden. Solche Erwägungen fruchteten gar nichts. Er hing einfach an ihr, er brauchte sie. Wenn er nicht mehr damit rechnen durfte, ihr von seinen Angelegenheiten zu reden, dann machten ihm diese Angelegenheiten keinen Spaß mehr, weder die erfreulichen noch die verdrießlichen. Wenn sie nicht darin war, hatte sein Leben keinen Sinn mehr. Es gab, er mußte sich das eingestehen, für seine Beziehungen zu ihr keine andere

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