Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
daraus, daß ein Franzose am Telefon sei, und versuchte seinesteils in seinem bayrischen Französisch zu erklären, Herr Trotueng sei bereits am Apparat. Die Stimme verlangte nochmals, ziemlich hilflos, nach Monsieur Trotueng, ob der bei sich sei. Sepp Trautwein nahm an, der französische Inhaber der Stimme verstehe sein ungefüges Französisch nicht, und wiederholte noch eindringlicher seine Versicherung, Monsieur Trotueng sei bereits am Apparat. Endlich, in letzter Verzweiflung, fragte die Stimme in gutem Münchnerisch: »Sakrament, sind Sie das, Trautwein, oder sind Sie’s nicht?« – »Natürlich bin ich’s«, erwiderte unwirsch und erlöst Trautwein und dachte, wieviel Leiden doch das Exil mit sich bringe.
Es ergab sich, daß der Inhaber der Stimme Leonhard Riemann war, der Musikdirektor Riemann, der große Riemann, Sepp Trautweins Freund. Ja, Riemann und Trautwein hatten in Deutschland gute Freundschaft gehalten, allein das war vor Hitler gewesen, und Riemann hatte sich mit dem Regime ausgesöhnt, Sepp wußte, daß Riemann ein gänzlich unpolitischer Mensch war, sehr vorsichtig, ein Schisser, wie er, Sepp, sich ausdrückte. Als er gelesen hatte, Riemann werde nach Paris kommen, um drei Konzerte zu dirigieren, darunter eines in der Oper, hatte es ihm einen kleinen Stich gegeben. Er hatte sich gefragt, ob Riemann es wagen werde, sich bei ihm zu melden, dann aber hatte er die Frage beiseite geschoben, erhatte nicht einmal mit Anna darüber gesprochen. Er hatte es, trotz allem, für selbstverständlich gehalten, daß Riemann sich bei ihm melden werde. Ob das aber auch Riemann für selbstverständlich hält?
Daß er sich jetzt meldete, überraschte Sepp und erfreute den impulsiven, sanguinischen Mann im Innersten. Überhaupt ließ sich dieser Mai gut an. Erst war die Nachricht gekommen, daß Friedrich Benjamin geschrieben hatte, daß er also am Leben war. Das war ein Sieg gewesen, der Sepp und seine Arbeit großartig bestätigte. Das Gefühl der Ohnmacht, der Lächerlichkeit, des nutzlosen Zornes, das ihn so lange bei dem Gedanken an das fait accompli erfüllt hatte, war mit einem Schlag entwichen. Jetzt erst spürte Sepp, wie tief sein gesunder oberbayrischer Wirklichkeitssinn gelitten hatte unter der Vorstellung, man kämpfe vielleicht, wahrscheinlich, um einen Toten. Daß dieser jämmerliche Zweifel von ihm abgefallen war, hatte ihm eine Erleichterung gegeben, wie er sie früher bei einer Bergwanderung gespürt haben mochte, wenn er, angelangt, den schweren Rucksack abwarf. Leicht und frei jetzt, in diesen strahlenden Maitagen, lief Sepp die Seinekais entlang. Wenn er die Blumen sah, die überall feilgeboten wurden, wenn er die sanfte, frische Luft atmete, das heitere Licht der Stadt Paris, dann fühlte er sich wie auf der Ferienreise, die er früher um diese Zeit zu machen gepflegt hatte, und die Melodie, die er am häufigsten vor sich hin pfiff, waren die knappen, harten Takte des Marsches aus dem »Judas Makkabäus«. Auch sonst fügte sich alles gut in diesem Frühjahr. Die Vorbereitungen der Rundfunkaufführung der »Perser« waren nicht so schlimm, wie er gefürchtet hatte; wenn er ehrlich sein wollte, machten sie ihm sogar Spaß. Und jetzt zeigte sich überdies, daß Leonhard Riemann nicht der Lump war, zu dem er in der stickigen Luft des Dritten Reichs leicht hätte werden können. Da steht er am andern Ende der Telefonleitung. Er hat sich bei ihm gemeldet. Das ist etwas.
Freudvoll und unwirsch also beschimpfte Trautwein den andern, daß der nicht gleich gesagt habe, wer er sei. Dannlegte man fest, daß man sich am Freitagabend ausführlich sehen und sprechen werde.
Vergnügt fuhr Sepp wieder in sein Zimmer hinauf, mit der Zunge schnalzend. Er hat den Riemann ehrlich gern. Zwar hat der von früh an etwas beamtenhaft Würdiges gehabt; aber das ist nur Maske, im Innern ist der Riemann genauso ungebunden burschikos wie er selber und hat es auch immer gutmütig hingenommen, wenn er, Sepp, ihn wegen seiner Philistrosität gefrotzelt hat. Ja, Sepp freut sich auf eine gründliche Aussprache mit dem Freund. Er hat in diesen Jahren des Exils die Unterhaltungen mit ihm bitter entbehrt.
Daß der Riemann mit Hitler seinen Frieden gemacht hat, ist natürlich schwer verzeihlich. Aber schließlich ist es doch verzeihlich, wenn man bedenkt, daß der Riemann von jeher alle Politik ängstlich von sich weggestoßen hat. Schon vor Hitler haben Sepp und er darüber ständig gestritten. Übrigens liest man, daß
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