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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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hinunterschlucken.« – »Es ist kein Gift«, erwiderte Maria, beinahe traurig. »Reden Sie schon«, drängte Wiesener. »Sie halten es für eine Gemeinheit, was ich da mache?« fragte er, gespannt, halb ironisch. »Das scheußlichste ist«, sagte Maria, »daß Sie alles halb tun. Sie haben doch von Anfang an gewußt, daß Sie nicht beides zugleich haben können. Ihre Sache mit Madame de Chassefierre und Ihre Stellung in der Partei. Aber Sie haben sich nicht entscheiden können und lauter Kompromisse gemacht. Alles ist halb an Ihnen«, empörte sie sich, und Wiesener sah, daß jetzt herausbrach, was sich lange in ihr gestaut hatte. »Wenn Sie etwas Anständiges tun, tun Sie es mit ironischem Augenzwinkern, als ob Sie sich schämten, und wenn Sie etwas Gemeines tun, dann rühmen Sie sich so, daß man Ihr schlechtes Gewissen herausspürt. Und ich hatte geglaubt, Sie seien ein Mann. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie unsympathisch Sie mir sind.« – »Danke«, sagte Wiesener. »Jetzt bin ich viel informierter. Und jetzt, nachdem die Luft etwas gereinigt ist, können wir am ›Beaumarchais‹ weiterarbeiten.«
    Allein was Maria gesagt hatte, beschäftigte ihn. Weitläufig setzte er sich in der Historia Arcana damit auseinander, und wenn Leas Bild anmutig und spöttisch auf ihn herunterlächelte, unterlegte er Leas Lächeln Marias Worten.In der Redaktion der »P. N.« lief ein anonymer Brief ein, der Mitteilungen enthielt über eine geplante Begegnung zwischen dem französischen Jugendverband »Jeanne d’Arc« und dem deutschen »Jung Siegfried«. Der Brief stammte offenbar von jemand, der Bescheid wußte. Er enthielt präzise Angaben, die zum Teil nachprüfbar waren, auch ein genaues Programm des geplanten Jugendtreffens und die Kopien mehrerer behördlicher Schriftstücke.
    Als den in Aussicht genommenen Führer der französischen Delegation bezeichnete der Brief den jungen Herrn Raoul de Chassefierre, und es war an seine Designierung ein Kommentar geknüpft. Der anonyme Schreiber wies hin auf die häufigen Besuche des Parteigenossen Erich Wiesener in der Rue de la Ferme und auf die auffallende körperliche Ähnlichkeit des jungen Herrn de Chassefierre mit dem Parteigenossen. Der Anonymus machte aufmerksam auf die Pikanterie dieser Designierung. Einesteils sei zwar durch seine nahen Beziehungen zu dem Parteigenossen Wiesener Raoul de Chassefierre gewissermaßen ein zweibeiniges Symbol französisch-deutscher Verständigung. Andrerseits hätten sich die zuständigen französischen Stellen doch wohl einen Spaß gemacht, indem sie zum Führer ihrer Delegation justament jemand bestimmt hätten, der einen Tropfen jüdischen Blutes habe.
    Man pflegte auf der Redaktion der »P. N.« anonymen Schreiben nicht viel Gewicht beizulegen. Diesen Brief indes las Heilbrun genau, er prüfte, ob da vielleicht eine Falle sei. Nein, es war keine Falle. Er entschloß sich, die Mitteilungen des anonymen Schreibens zu verwerten.
    Er und Wiesener waren alte Feinde. Zwischen Wieseners »Westdeutscher Zeitung«, dem vornehmsten demokratischen Blatt des Weimarer Deutschland, und Heilbruns »Preußischer Post«, dem einflußreichsten demokratischen Blatt der Reichshauptstadt, war scharfe Rivalität gewesen. Heilbrun hatte Wiesener von jeher als versnobt, geschmäcklerisch und gesinnungslos abgelehnt, der ihn als vulgär. Wieseners Abfall von der Demokratie, sein Übergang zu den Nazi war für Heilbrunein Triumph und eine große Bestätigung gewesen. Allein zu seiner Enttäuschung hatte er erleben müssen, daß Wiesener durch sein Renegatentum nicht an Geltung verlor. Seine Artikel wurden nach wie vor von der Weltpresse zitiert, er lebte in Ansehen und großem Glanz, kein Mensch machte ihm aus seiner offenbaren Käuflichkeit einen Vorwurf. Wiesener wurde für Heilbrun zur Verkörperung der Ungerechtigkeit der Welt.
    Mit Freuden machte er sich daran, aus den Informationen des anonymen Briefes einen Gifttrank gegen den Verhaßten zusammenzubrauen. Er hatte eingesehen, daß sein Artikel von neulich zu klobig war. Jetzt hatte er eine bessere, schärfere Waffe. Jetzt wollte er nicht nur seinem Herzen Luft machen und den Artikel auf die Sinnesart der Emigranten einstellen: jetzt wollte er dem andern an die Haut. Diesmal behielt er die Leute im Aug, von denen Wiesener und sein Projekt mit dem Jugendtreffen abhängig war, er schrieb für die französischen Stellen, auf die es ankam, für die deutsche Botschaft, für Wieseners Gegner innerhalb der

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