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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Partei. Vorsichtig dosierte er das Gift, welches der anonyme Brief ihm bot, er beschränkte sich auf delikate Andeutungen, die nur den Wissenden verständlich waren, die aber um so besser saßen.
    Wenn Wiesener ein schwerer Schlag traf, dann schaltete er das Gefühl aus und wurde ganz kalt und ruhig. Er las Heilbruns Artikel mit einem hellsichtigen Gleichmut, vor dem er beinahe selber erschrak. Er anerkannte sachlich, wie gut der Artikel geschrieben war, er selber hätte ihn nicht raffinierter schreiben können. Ich muß mein Urteil über diese Leute revidieren, dachte er. Ich habe sie immer Schmöcke genannt. Es sind aber gar keine Schmöcke, sie schreiben nicht bald rechts, bald links. Mit dem Urbild des Schmocks, mit dem gewissen Elles, haben sie allerdings trotzdem zu tun. Sentimental sind sie, und die eigentümliche phantastische Verschrobenheit der Ghettokinder haben sie. Wie wenige wissen übrigens, daß jener Elles das Vorbild von Freytags Schmock war. Ich bin wirklich ungewöhnlich belesen und kann mich auf mein Gedächtnis verlassen. Gleichzeitig aber, alles schonwährend der Lektüre des Artikels, arbeitete seine Logik und seine Intuition, und er sah geradezu leibhaft, wie Heilbruns Angriff auf seine Freunde und auf seine Gegner wirkte. Er sah das Gesicht des Botschafters, wie der den Artikel las, das Gesicht Spitzis, das Gesicht Leas, Heydebreggs Gesicht.
    Ein Waterloo, faßte er seine Gedanken und Gefühle zusammen, das wird mein Waterloo.
    Um sogleich die Probe aufs Exempel zu machen, läutete er Heydebregg an. Er hätte, wenn der Parteigenosse ans Telefon gekommen wäre, nicht gewußt, womit er seinen Anruf begründen sollte; aber er war überzeugt, daß er sich darüber den Kopf nicht werde zerbrechen müssen. Es kam auch, wie er es voraussah: der Parteigenosse war nicht zu sprechen. Selbst der Tonfall, wie der Sekretär ihm das mitteilte, war so, wie er ihn erwartete. Ja, ja, alles war so, wie er es erwartete. Er legte den Hörer zurück, nickte mit dem Kopf, weise, resigniert, mit einem winzigen Lächeln.
    Es war also aus. Der Schlag war gefallen. Aber das war gut so. Die Erwartung des Unheils war, wie immer, schlimmer gewesen als die Katastrophe selbst, und jetzt war er ruhig, beinahe heiter.
    Er war, als ihm sein Name aus den »P. N.« entgegensprang, im Begriff gewesen, auszugehen. Da lehnte noch sein Stock am Stuhl. Er nahm ihn. Im Straßenanzug, den Stock in der Hand, ging er durch die Bibliothek, durch sein Arbeitszimmer, hin und her, und beobachtete mechanisch, wie sich die starken Absätze seiner Schuhe in den weichen Teppich eingruben. Hundertmal hat er sich selber und hat die gescheite Maria ihm gesagt, daß er nicht beides zugleich haben könne, daß er sich einmal werde entscheiden müssen zwischen seiner Neigung für Lea und seiner Karriere. Mehr als zwei Jahre hat er sich vor der Entscheidung gedrückt. Es ist gut, daß nun das Schicksal für ihn entschieden hat. Wie hat es entschieden, für ihn oder gegen ihn? Das ist noch lange nicht heraus.
    Heiß oder kalt, nur nicht lau. Er atmet geradezu auf, daß er jetzt des ewigen Schwankens enthoben ist. Er strafft sich,reißt die Schultern nach hinten, schlägt mit dem Stock in die Luft. Es war wie eine Bürde auf ihm gelegen, jetzt fühlt er sich, selbst körperlich, leichter.
    Mit seiner Karriere ist es also aus. Er muß sich, ob er will oder nicht, aufs Privatleben beschränken. Privatleben, das heißt Lea. Darf er da seiner Sache so sicher sein? Hat er die Erfahrungen eines gewissen Telefongesprächs schon vergessen, das er im Anschluß an einen Artikel der »P. N.« geführt hat? Der heutige Artikel freilich, sollte man meinen, müßte auf Lea andere Wirkung tun. Die Tatsache, daß die »P. N.« diesen zweiten infamen Angriff bringen, müßte ihr beweisen, daß ihr latenter Verdacht, er techtle mit den »P. N.«, grundlos ist. Der Artikel müßte nach menschlichem Ermessen bewirken, daß sie fester als je an ihn glaubt. Er heitert sich auf, wie er diese Erwägungen anstellt.
    Maria kam. »Na«, fragte Wiesener betont munter, »sind Sie jetzt zufrieden, Maria? Jetzt ist es also Schluß mit der Lauheit und dem Kompromiß. Mit der Politik ist es aus, mit der Karriere ist es aus. Vielleicht nehmen sie mir sogar meine ›Westdeutsche‹. Ich stelle mir vor, das wird großartig. Sie nicht auch, Maria? Wir beschäftigen uns nur mehr mit Ernsthaftem. Wir machen Literatur, nichts sonst. Eines freilich weiß ich nicht: ob ich nicht bald verdammt

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