Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
brausten und flüsterten auf ihn ein die Geheimnisse der Welt, Schuld und Furcht und Gericht und Niederlagen und Leidenschaften und Ruhe und Seligkeitund Empörung und Triumph. Kapellmeister Nathans Gegner warfen ihm zuweilen vor, er sei weichlich; heute war er es nicht. Er war in New York ungeheuer gefeiert worden, aber seinem Konzert heute hörten, da es über viele Rundfunkstationen übertragen wurde, auch seine Deutschen zu. Er wußte das, und er war nicht weichlich an diesem Abend. Er kannte und liebte seine Fünfte, und in ihr ließ er grollen und aufbrausen den eigenen Zorn über die Anmaßung des Schlechten und Gewalttätigen, und in ihr ließ er flüstern und hochklingen die eigene Hoffnung auf den Sieg des Guten in der Welt.
Erich Wiesener, in dem tiefen Ledersessel seines Arbeitszimmers in Paris, hörte zu. Er war musikalisch, er genoß jede Einzelheit, er freute sich innig, daß Nathan und wie er dirigierte. Dieser Nathan war ein großer Musiker, es war fein, daß gerade er, der Verbannte, zu seinem, Erich Wieseners, Triumph aufspielen mußte. Mochte Lea ironisch auf ihn herunterlächeln: es war eine großartig eingerichtete Welt, ihm gefiel sie.
20
Die Hosen des Juden Hutzler
Als am andern Tag Maria kam, fragte Wiesener, strahlend: »Was wünschen Sie sich, Maria? Ich möchte Ihnen was schenken.« – »Was ist denn los?« erkundigte sich erstaunt Maria. »Allerhand ist los«, freute sich Wiesener. »Aber haben Sie das denn nicht selber gemerkt?«
Maria hatte es nicht gemerkt. Bevor die innere Wandlung Wieseners erfolgt war, hätte sie wahrscheinlich aus der Nachricht von der Konstituierung des Schiedsgerichts die gleichen Schlüsse gezogen wie er. Nun aber, glaubend an die Dauerhaftigkeit seines inneren Umbaus, hatte sie die Meldung nicht weiter beachtet und hatte sich nicht lange überlegt, welchen Einfluß dieses Geschehnis auf Wieseners Karrierehaben mochte. Er seinesteils dachte nicht daran, sie aufzuklären. Er schmunzelte nur, eingesponnen in sein Glück.
Statt an das Manuskript des »Beaumarchais« zu gehen, diktierte er ihr heute ein Entrefilet für die »Westdeutsche«, eine Glosse über gewisse Verzögerungen in der Luftrüstung Frankreichs. Zweck des Artikels war, den Deutschen zu zeigen, daß ein demokratisches Regime, angewiesen auf den guten Willen seiner Arbeiter, einem autoritären notwendig unterlegen sein müsse. Natürlich war Wiesener zu delikat, diese seine Grundidee grob auszusprechen; er begnügte sich, sie seinen gebildeten Lesern durch vornehme und tückische Nuancen zu suggerieren. Maria, während sie das Stenogramm aufnahm, verpreßte die Lippen. Was, um Gottes willen, hatte sich ereignet? Der Mann, der ihr jetzt diktierte, das war der gewissenlose, glaubenslose Streber und Schieber von vorgestern, nicht der Schriftsteller Wiesener von gestern, der zu sich selbst und seinem wahren Beruf zurückgefunden hatte. Ihr schönes Gesicht spiegelte ihren Zorn und ihre Enttäuschung wider. Den ganzen Morgen blieb sie zugesperrt. Ihn verdroß das nicht sehr. Er fühlte sich im Vollbesitz seiner Kräfte, er war gewiß, er werde Maria zurückgewinnen.
Im Lauf des Tages zeigte sich, daß die Schlußfolgerungen stimmten, die er aus der Nachricht über das Schiedsgericht gezogen hatte. Die Zeit der Ungnade war vorbei; man beeilte sich, mit ihm von neuem Fühlung zu bekommen. Die Rue de Lille, die in diesen Wochen eisern geschwiegen hatte, rief bei ihm an und erkundigte sich beflissen nach seiner Meinung in einer höchst belanglosen Angelegenheit. Von Spitzi kam ein freundschaftliches Telegramm aus dem Berner Oberland, ob Wiesener von dem heißen Paris noch immer nicht genug habe, ob er nicht lieber Ferien machen wolle und ihn irgendwo treffen. Vor allem aber, und dies war mehr, als Wiesener erwartet hatte, wurde er aus Biarritz verlangt, und aus dem Telefon kam die wohlbekannte, tiefe, knarrende Stimme des Parteigenossen, die des Nilpferds.
»Na, junger Mann«, sagte die Stimme, »lange nichts voneinandergehört. Was sagen Sie nun? Angenehme Neuigkeiten aus Afrika, nicht? Ein sogenannter Schlag für die Herren Emigranten.«
Heydebregg, genau wie alle Welt, sah in der günstigen Zusammensetzung des Schiedsgerichts einen Beweis sowohl für die Ohnmacht der »P. N.« wie auch für die Richtigkeit der von Wiesener empfohlenen Taktik. Daß er zu Wiesener die freundschaftlichen Beziehungen von Mann zu Mann wiederaufnehmen konnte, freute ihn beinah ebenso wie sein persönlicher
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