Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
Nein, er hat kein Glück mit seinen Ferien. Es ist ein verpatzter Sommer. »Erkannt und verachtet.«
    Zwei Tage später fuhr er nach Paris zurück.
22
Franz Heilbrun im Konflikt der Pflichten
    Herr Gingold hatte bei Chefredakteur Heilbrun Klage geführt über Sepp Trautweins grobe und widerspenstige Art. Er sei ein geduldiger Mensch, hatte er erklärt, aber auf diese Art ließen sich die »P. N.« nicht gedeihlich weiterführen, deshalb habe er sich entschlossen, die unflätige Antwort Professor Trautweins diesmal nicht hinzunehmen, sondern von seinem Recht Gebrauch zu machen und den disziplinlosen Redakteur zu entlassen.
    Er hatte erwartet, daß Heilbrun dagegen Einspruch erheben werde; doch auf so heftigen Widerstand war er nicht gefaßt gewesen. Auch mußte er sogleich erfahren, daß die Redakteure ausnahmslos und bedrohlich für Sepp und gegen ihn Partei ergriffen.
    Er war vorschnell gewesen. Der 5. August, die Frist, die ihm die Urbösen gestellt hatten, war zu kurz, er hatte dasHerrn Leisegang gleich eingewendet. Man mußte abwarten, bis Trautwein einem einen bessern Vorwand lieferte; das wird nicht ausbleiben. Herr Leisegang, ein Mann der Geschäfte und der Wirklichkeit, mußte einsehen, daß die gestellte Frist nicht eingehalten werden konnte.
    Herr Leisegang sah es nicht ein. Er hatte aus der Unterredung mit Wiesener den Eindruck gewonnen, daß der mit der Affäre der »P. N.« nun endgültig zu Rande kommen wollte. Vergebens legte Gingold mit einleuchtenden Worten dar, er könne, auch wenn vielleicht er formal im Recht sei, von diesem Recht keinen Gebrauch machen. Eine brüske, nicht genügend begründete Entlassung Trautweins würde Skandal machen; Krach und Skandal aber seien doch sowenig im Sinn der Auftraggeber Herrn Leisegangs wie in seinem eigenen. Herr Leisegang zeigte unerwartete Hartnäckigkeit. Er, der sonst so Liebenswürdige, Ölige, wiederholte scharf, trocken, präzis und bösartig seine Forderung. Ultimativ verlangte er, daß Herr Gingold Trautweins Kündigung bis längstens 5. August ausgesprochen habe.
    Herr Gingold zuckte die Achseln. Er schloß von sich auf andere und war überzeugt, es werde nichts so heiß gegessen wie gekocht. Er ließ den 5. August vorübergehen, ohne Trautwein zu kündigen.
    Mit den Auftraggebern Herrn Leisegangs war nicht zu spaßen, darüber war sich Herr Gingold klar. Er nahm an, Benedikt Perles werde fortan bei seinen Berliner Geschäften wieder auf größere Schwierigkeiten stoßen, und das, solange Professor Trautwein Redaktionsmitglied der »P. N.« bleibe. Das war unangenehm, aber es mußte in Kauf genommen werden, und Herr Gingold war gewillt, es in Kauf zu nehmen.
    Allein die Herren, die hinter Leisegang standen, gingen noch viel energischer, listiger, grausamer und zielbewußter vor, als Herr Gingold vermutet hatte. Sie ließen Benedikt Perles ungeschoren und behinderten ihn nicht in seinen Geschäften: sie packten Herrn Gingold an einer Stelle, an der er weitmehr verwundbar war. Aus Berlin kam ein Brief, ein zwielichtig formulierter, verzweifelter Brief, den richtig zu verstehen Herr Gingold zuerst nicht wagte. Er las ihn zweimal, dreimal; dann, obwohl sich alles in ihm dagegen sträubte, mußte er ihn verstehen. Was sich ereignet hatte, war furchtbarer als seine grausigsten Träume. Es war dies: die Urbösen hatten den Gesangspädagogen Danneberg und Frau Ida Perles, geborene Gingold, wegen Rassenschande in Haft genommen.
    Der Kaufmann Louis Gingold hatte viel erlebt, er hatte mehrmals den Tod ganz nahe gespürt, er war mit vielen Wassern gewaschen. Von Natur eignete ihm ein heißes Temperament; aber er hatte gelernt, sich zu bezähmen und in gefährlichen Situationen nur kalte Vernunft sprechen zu lassen. Diesmal konnte er das nicht. Das Herz stand ihm still, sein Gaumen trocknete aus, die Haut seines Gesichtes wurde gelber, faltiger, die dürren, trockenen Hände ließen den Brief fallen und fingerten sonderbar und sinnlos in der Luft. Der Sekretär Nachum Feinberg mußte, mit schreckweiten Augen, erleben, wie sein Herr in wenigen Sekunden alterte. Der große Geschäftsmann, der Mann der Tat, der sich bisher jedem Schlag überlegen gezeigt hatte, sackte auf einmal zusammen; höchst jämmerlich hockte er da, verfallen, ein Häuflein Unglück, keineswegs mehr dem Präsidenten Lincoln ähnlich.
    Herrn Gingold war jäh ein böses Licht aufgegangen. Alles, was er getan hat, ist falsch gewesen, er hat etwas verbrochen, für das es keine Sühne und keine

Weitere Kostenlose Bücher