Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
plötzlich auflösen konnte in Hingabe, er hatte ein unmäßiges Verlangen nach ihr, er konnte einfach nicht länger warten, er wird morgen, er wird noch heute nach Arcachon fahren.
Er war viel mit Frauen zusammen in diesem Sommer, er war kein Kostverächter, er war zynisch und routiniert. Doch gerade wenn er sich mit andern Frauen vergnügte, spürte er Leerheit und das Verlangen nach Lea. Er mußte sie haben, er mußte sie jetzt haben, ihr Gesicht, ihren Leib, ihre Stimme, ihren Hohn, ihre Bewunderung, ihren Haß, ihre Liebe. Abernein, er darf sich nicht gehenlassen, er verdirbt alles, wenn er sich jetzt gehenläßt. Er hat es sich ausgerechnet, daß es einen einzigen Weg gibt, Lea zurückzugewinnen: er muß sich totstellen, er darf sich nicht rühren, er muß warten, bis sie zu ihm kommt. Wenn er es über sich bringt, zu warten, dann fällt sie ihm von selber wieder zu. Aber es ist gemein, wie sich diese seine schlaue Taktik gegen ihn selber kehrt.
Lea, in Arcachon, überlegte sich um diese Zeit dreimal täglich, was sie tun sollte, wenn er sich meldete.
Immer öfter münzte er seine Wut über Leas Fernbleiben um in kleine Quälereien und Neckereien Marias. Immer hatte er sich daran ergötzt, daß sich Goethes Christiane in einem Brief an ihren Freund sächsisch und unorthographisch unterzeichnet hatte: »dein glaines nadurwässen«. Jetzt, wenn er etwas besonders Teuflisches diktiert hatte, sagte er gelegentlich zu Maria: »Na, mein kleines Naturwesen, empört sich einmal wieder Ihre ganze unverdorbene Seele gegen meinen Machiavellismus?« Maria saß dann still da, vielleicht ein bißchen blasser und strenger als sonst, aber sie bezwang sich und schwieg.
Es kam der Tag, an dem er den letzten Satz des »Beaumarchais« diktiert hatte. Strahlend und stolz diktierte er weiter: »Finis.«
Maria schrieb hin: »Finis.« Dann stand sie auf und sagte ihresteils, mit einer Mischung von Verbissenheit, Trotz, Erleichterung und Genugtuung: »Finis.«
Wiesener begriff sogleich, was das bedeutete, daß sie nämlich nur das Ende der Arbeit abgewartet hatte, um ihn für immer zu verlassen. Das sah ihr ähnlich, daß sie trotz ihres Widerwillens nicht vorher gegangen war, und auch, daß sie ihm nichts vorher gesagt hatte.
Sie durfte so nicht gehen. Sie durfte überhaupt nicht gehen. Sie war einsilbig geworden in letzter Zeit, und manchmal wäre ihm ein freundlicheres Gesicht als das ihre willkommen gewesen: aber er konnte sie einfach nicht entbehren, er brauchte ihre Gegenwart. Sie war nicht nur darauf eingearbeitet, zur rechten Zeit Maschine und zur rechtenZeit lebendiger Mensch zu sein, sie war Sekretärin im eigentlichen Sinn des Wortes, jemand, dem er seine Heimlichkeiten anvertrauen konnte. Die Freundschaft mit ihr war ihm kaum weniger wichtig als die Bindung mit Lea. Die ganze Freude an der Vollendung des »Beaumarchais« war ihm verdorben durch ihre Aufkündigung, durch dieses freche, tückische Echo auf sein »Finis«. Sie durfte ihn nicht so im Stich lassen, es war treulos, es war gemein. Er suchte sie zu beschwatzen, jetzt empört, jetzt liebevoll, er zog alle Register seiner Beredsamkeit; doch er wußte von vornherein, es war vergebens. An Maria war nichts Halbes; was sie sich in den Kopf gesetzt hatte, führte sie durch.
Bei der Auflösung ihrer Beziehungen zeigte sie sich fair und gewissenhaft. Sie vermied alles, was ihn schädigen oder auch nur kränken konnte, und statt der wahren Gründe, die sie von Wiesener wegtrieben, gab sie andere an, halbwegs plausible. Auch sorgte sie für eine brauchbare Nachfolgerin und unterwies sie in allem Wesentlichen. Dann kam sie ein letztes Mal. Ohne Ziererei nahm sie die Geldsumme, die er ihr zum Abschied gab. Aber auf seine Frage, was sie nun beginnen werde, antwortete sie nicht. Sie verschwand aus seinem Gesichtskreis.
Ihre Nachfolgerin war ein tüchtiges Mädchen, aber Wiesener hatte von Anfang an eine leise Abneigung gegen sie, einfach deshalb, weil sie nicht Maria war. Sie hieß Charlotte Bittner, aber für ihn hieß sie weder Charlotte noch Lotte, noch Fräulein Bittner, und obwohl sie ein angenehmes Gesicht und eine angenehme Stimme hatte, bekam sie für ihn weder Gesicht noch Stimme, sie blieb einfach »Die Neue«, und es kostete ihn Mühe, zu ihr so charmant zu sein, wie er es aus Gewohnheit zu andern war. Er vermißte Maria bitterer, als er vorausgesehen hatte. Der Triumph über die Vollendung seines Werkes, ein Triumph, nach dem er sich seit Jahren gesehnt
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