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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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geradezu kriecherischer Höflichkeit. So saß er, spähte, schnupperte, lauerte.
    Es hatte aber in diesem August der französische Kurort Vichy ein internationales Musikfest veranstaltet, und Sepp war hingefahren, darüber zu berichten. Er hatte sich den Spaß gemacht, im Anschluß an ein sachliches Referat über die Aufführungen eine Rede zu erfinden, in welcher sich der »Führer« über die gleiche Musik erging. Sepp hatte Sinn fürs Sprachliche, er hatte Humor und Einfühlung, es war ihm geglückt, den Ton, in welchem der Führer seinen Bombast über Kunst vorzubringen pflegte, bis ins kleinste zu treffen. Die fingierte Führerrede bereitete ihrem Urheber und seinen Kollegen Vergnügen, auch vielen anderen, die über der tragischen Wüstheit der Epoche ihre Lächerlichkeit nicht übersahen.
    Herr Gingold, als er die erfundene Rede las, grinste. Jetzt war es soweit.
    Und siehe, es liefen Briefe von Lesern ein, die befürchteten, eine so billige Verhöhnung des Reichskanzlers könnte neue Schikanen gegen die in Deutschland verbliebenen Juden heraufbeschwören. Ja, es schien, daß selbst amtliche französische Stellen an Sepp Trautweins Spaß Anstoß nahmen. Herr Gingold ließ sich von einem hohen französischen Funktionär vertraulich mitteilen, man lese am Quai d’Orsay solche Artikel gar nicht gern; sie streiften nahe an jenen Paragraphen, der die Beleidigung eines fremden Staatsoberhauptes unter Strafe stelle.
    Herr Gingold notierte sich diese Äußerung genau, er sammelte und sichtete sorgfältig die einlaufenden Proteste, es kamen auffallend viele, es wurde ein ansehnlicher Akt, er hatte gute Arbeit getan, er lächelte listig, tief. Aber er übereilte sich nicht. Sorgfältig bereitete er alles vor, um keine zweite Niederlage zu erleiden. Er hatte gehört, zum bevorstehenden Gedenktag Richard Wagners wolle Sepp Trautwein eine ähnliche fingierte Rede des Führers veröffentlichen. Er wartete ab.
    Erst als die Korrektur dieser zweiten Rede vorlag, griff er ein. In Gegenwart Franz Heilbruns, sehr höflich, teilte er Sepp Trautwein seine Bedenken gegen diesen zweiten Artikel mit und wies hin auf die Klagen und Beschwerden, die schonder erste zur Folge gehabt habe. Vor ihm lag der Akt mit seinem Material. »Bitte, prüfen Sie selber«, forderte er Trautwein auf und schob ihm das Dossier zu, es war reichlich dick. »Selten sind gegen einen Beitrag so viele Proteste eingelaufen. Es ist das erstemal, daß sich auch der Quai d’Orsay bei uns beschwert hat. Und weshalb das alles? Wegen eines Spaßes, der vielleicht dem einen oder andern gefällt, mit dem aber die meisten Leser nichts Rechtes anzufangen wissen. Ist das notwendig, geschätzter Herr Professor? Muß das sein? Können wir es verantworten, vor der französischen Regierung, die uns Gastfreundschaft gewährt, vor der ganzen deutschen Emigration? Was soll ich den Leuten erwidern, die mich daraufhin ansprechen? Bitte, sagen Sie es mir. Ich lasse mich gerne belehren. Ihren feinen Humor in Ehren, geschätzter Herr Professor, aber ist eine solche Bagatelle es wert, daß man dafür die Existenz des Blattes aufs Spiel setzt?«
    Sepp war an diesem Tag nicht gut in Form. Des Morgens hatte ihm Anna mitgeteilt, daß sie also seinem Wunsch zufolge Wohlgemuths Angebot, sie mit nach London zu nehmen, abgelehnt habe. Sie hatte sich auf die trockene Mitteilung beschränkt und auf den Kommentar verzichtet, den er befürchtete. Er hatte die Nachricht angehört mit einem Gefühl, gemischt aus Erleichterung und schlechtem Gewissen, und beinahe wäre es ihm lieber gewesen, sie hätte geschimpft. Wie jetzt Gingold mit seinem Schmarrn daherkam, mußte Sepp an Annas Warnung vor dieser Kröte denken, und er verdüsterte sich noch mehr. Was war das auch für damisches Gerede, das der Gingold da wieder einmal verzapfte. Was er zum Beispiel von dem Quai d’Orsay daherschleimte, das war, wenn nicht überhaupt erfunden, so doch sicher maßlos übertrieben. Aber Sepp wollte sich kein zweites Mal hinreißen lassen.
    Sachlich verwahrte er sich dagegen, daß man seine Parodie auf den Stil und das Kunstgequatsch des Kanzlers als einen bloßen Spaß hinstelle. Kein besseres Kriterium des Menschengebe es als seinen Stil, mit Sicherheit lasse sich aus dem Stil das Wesen eines Mannes erschließen. »Alles recht und gut«, gab Gingold friedfertig zu, »und in einer literarischen Zeitschrift mag eine Parodie wie die Ihre gut am Platz sein. Aber als Beitrag der ›P. N.‹ kann ein solcher Artikel

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