Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
nur Schaden anrichten. Und das hat er auch getan. Belieben Sie doch endlich, die zahlreichen Proteste zu lesen, geschätzter Herr Professor, die dagegen eingelaufen sind.«
Sepp Trautwein nahm an, daß die meisten dieser Proteste von Gingold selber oder von ihm Nahestehenden stammten. »Soll ich mir von diesen Idioten das Recht verbieten lassen«, erwiderte er heftig, »Hitlers Gallimathias lächerlich zu machen? Wohin kämen wir, wenn wir immer nur so schreiben sollten, daß es nirgends Anstoß erregt? Wenn wir uns schon über das Gesicht des Kanzlers nicht lustig machen dürfen, weil ein Paragraph schützend davorsteht, dagegen dürfen wir uns doch hoffentlich wehren, daß er uns auch noch die deutsche Sprache verhunzt.« – »Bleiben wir bei der Sache, geschätzter Herr Professor«, bat Gingold. »Ich möchte nicht«, fuhr er mit fatalem Lächeln fort, »daß Sie sich wieder so aufregen wie neulich; aber ich halte es für gefährlich, jetzt auch noch Ihre fingierte Führerrede über Richard Wagner zu bringen.« – »Ich nicht«, erwiderte trocken Sepp. Allein: »Ich wünsche nicht, daß der Artikel erscheint«, wurde Gingold deutlich. Heilbrun, der schon mehrmals versucht hatte, einzugreifen, wollte sich von neuem einmischen. Doch Trautwein ließ sich nicht zurückhalten; ganz nah ging er an den Tisch heran, hinter dem Gingold saß. »Der Artikel erscheint«, erklärte er. »Nein«, erwiderte still, sanft und beharrlich Gingold. »Der Artikel erscheint«, bestand geröteten Kopfes stur und drohend Sepp, »oder ich gehe.« – »Ich kann Sie nicht hindern«, antwortete sehr höflich, mit einem kleinen, verzerrten, sieghaften Lächeln, Herr Gingold.
»Machen Sie doch keinen Unsinn, Sepp«, rief Heilbrun und wollte ihn halten. Doch Sepp schüttelte ihn ab, drehte sich um und ging.
Heilbrun, noch ehe Sepp recht draußen war, wollte auf Gingold einreden, ihn beschwören. Allein, Gingold, der sonst so beherrschte, atmete, als er Trautweins Rücken in der Tür verschwinden sah, so tief und aus Herzensgrund auf, daß Heilbrun das Wort im Halse steckenblieb. Er erkannte: Hier ging es um mehr als um die Entfernung eines mißliebigen Redakteurs.
»Da haben Sie es also gehört«, stellte Gingold fest, seine bemühte Sachlichkeit verbarg nur schlecht seinen inneren Jubel, »Professor Trautwein hat um seine Entlassung gebeten. Sie ist bewilligt.« – »Es fällt mir gar nicht ein«, sagte Heilbrun, »die Worte ernst zu nehmen, die Sepp in der Erregung gesprochen hat. Er selber nimmt sie nicht ernst.« – »Ich nehme sie ernst«, erklärte schlicht Herr Gingold, mit einem kleinen, sieghaften Ton auf dem »ich«, der Heilbrun rasend machte. Dieser Trottel von einem Sepp. Auf jeden Köder beißt er an, und ich kann ihn dann wieder loseisen. »Ich weiß alle Vorzüge Professor Trautweins zu würdigen«, fuhr inzwischen Gingold mit gespielter Vertraulichkeit fort, »aber, unter uns, ich bin froh, daß wir ihn draußen haben. Er hat sich anders entwickelt, als ich erwartet hatte. Er bedeutet eine Belastung für das Blatt. Ich danke meinem Schöpfer, daß wir ihn draußen haben«, und er wiederholte seinen tiefen, befreiten Seufzer.
Heilbrun sah, daß es schwerhalten werde, diesem Mann seine Beute wieder zu entreißen. Aber er liebte Sepp, er hielt ihn für seinen wertvollsten Mitarbeiter, er hatte ihm versprochen, sich vor ihn hinzustellen, er wird sein Wort halten. Wohin käme er, wenn er in einer so wichtigen Frage vor Gingold kapitulierte? Energisch stieß er den viereckigen, stichelhaarigen Kopf gegen Gingold vor. »Hören Sie, Gingold«, erklärte er, »Sie werden Sepp Trautwein nicht gehen lassen. Ich dulde es nicht. Wenn Sepp Trautwein geht, dann gehe ich auch.«
Gingold beschaute seinen Chefredakteur; er behielt sein falschfreundliches Lächeln bei, doch in seinem Innern war Aufruhr. Meinethalb kann er gehen, dachte er. Er ist genauso ein Frechgesicht wie der andere, ich wäre froh, wenn ich ihnlos wäre. Aber dann fliegen die ganzen »P. N.« in die Luft, und das geht nicht, das kann ich nicht brauchen, das wollen die Urbösen nicht, sie wollen die »P. N.« von innen her umstülpen, langsam, unmerklich, und wenn es Skandal und Stunk setzt, dann werden sie nicht zufrieden sein und mein Hindele weiter quälen. Ich muß nachdenken, ich muß es schlau machen, ich muß ihn halten. Wie bin ich geschlagen, daß ich auch noch mein Hirn anstrengen muß, damit das geschehe, was ich nicht möchte. Wahrscheinlich will er gar
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