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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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allein mit der Toten. Die Fenster waren weit offen, trotzdem wollte der leise, süßliche Geruch des Gases nicht aus dem Raum weichen. Dabei machte die zunehmende Frische von außen die beiden in ihrer Müdigkeit beinahe frösteln.
    Sepp hockte da, unordentlich, das Bein des Schlafanzugs war ihm hinaufgerutscht, und Hanns starrte unwillkürlich auf die schmutzigweißen Haare am Bein des Vaters. Derschwatzte, manchmal viele Sätze hintereinander, dann wieder machte er lange Pausen. Zuweilen sprach er Hanns geradezu an, zuweilen sprach er wohl nur mit sich selber und erwartete keine Antwort.
    Er hatte das Bedürfnis, sich vor dem Buben und vor sich selber zu rechtfertigen. Es quälte ihn, daß er so oft zu Anna grantig und ungerecht gewesen war, es quälte ihn, daß er damals so kindisch »niemals, niemals, niemals« geschrien hatte. Auch reute es ihn, daß er ihr die Kündigung verschwiegen hatte und daß er heute abend so lange mit Erna zusammengesessen war. Das alles war nicht recht von ihm, aber das sind natürlich auch nicht die wahren Gründe gewesen dessen, was sie getan hat. Die lagen tiefer, sie lagen nicht bei ihm, und kann er dafür, daß alles in der Emigration so klein, elend und kümmerlich geworden ist? Einmal heroisch zu sein und zweimal oder dreimal, das ist kein Kunststück: die nie abreißenden Widerwärtigkeiten und Reibereien des Alltags zu ertragen, das ist viel schlimmer. Und weil dieser ständige kleine Dreck Anna ganz anders hergenommen hat als ihn selber, hat sie jetzt den Mut und den Glauben verloren. »Jetzt hat sie halt den Löffel weggeworfen«, sagt er, und er wiederholt den sonderbaren Satz mehrmals.
    An Hanns zerrt und reißt das Furchtbare, das er da erlebt. Sosehr er sich zusammennimmt, die Gedanken gehen ihm wüst durcheinander und laufen ihm davon. Er versucht sich zurechtzulegen, was eigentlich die Mutter in den Tod getrieben hat. Langsam werden ihm aus Sepps Reden die Zusammenhänge klar. »Bin ich also schuld? Bin ich schuld?« verlangt Sepp zu wissen. Hanns ist geneigt, die Schuld immer eher den Verhältnissen zuzuschreiben, aber verbrecherisch leichtsinnig hat sich Sepp schon benommen, das ist nicht zu leugnen, und wenn Hanns jetzt auf Sepps Frage »nein, nein« erwidert, so kommt dieses Nein schwunglos und nicht sehr überzeugend.
    Stunden laufen ab, schon kommt eine fahle Dämmerung herauf. Sepp grübelt stumm vor sich hin. Er hat gut gehört,wie lahm und zögernd Hannsens »Nein« kam, das trifft ihn. Er hadert mit sich, er hadert auch mit Anna. Sie hat recht gehabt, er taugt wahrscheinlich wirklich nicht zum Politiker, er versteht nichts als seine Musik. Aber er hat halt nun einmal eine lange Leitung, und darum hätte sie ihm Zeit lassen müssen zum Kapieren, sie hätte warten müssen und hätte nicht gleich den Löffel wegwerfen dürfen. Sie hat ihm viel geholfen, sie war, bis er selber seine Kunst im Stich ließ, sein musikalisches Gewissen, und vielleicht wäre er ohne sie auf dem Weg steckengeblieben. Aber sie hat auch oft eine unangenehme Art gehabt, eine unleidliche, sie hat alles zwanzigmal gesagt und keine Ruh gegeben, und ihr ewiges Begen und Benzen ist einem manchmal zum Hals herausgewachsen; auf die Dauer hält man es nicht aus, wenn einer tagaus, tagein das Höchste von einem verlangt. Und wenn sie mit ihrem Tadel freigebig war, so war sie um so geiziger mit ihrem Lob. Wie er ihr das Walther-Lied vorgespielt hat, zuletzt, da hat sie kaum ein paar gute Worte dafür gehabt. Nach all dem Unguten, was sie ihm gesagt hat, hätte sie sich da schon ein bißchen mehr anstrengen können; denn das Lied taugt wirklich was. Wenn er ehrlich sein will, dann hat es ihn zuweilen beinahe gefreut, daß sich Anna in der Emigration nicht mehr recht an seiner Arbeit hat beteiligen können.
    Es ist gemein von ihm, daß er jetzt solche Sachen zusammendenkt. Er tut es nur, weil er ein schlechtes Gewissen hat. Er hat ihr das Gute nicht heimgezahlt, was sie an ihm getan hat.
    Und wieder beginnt er zu sprechen. Wenn es Meinungsverschiedenheiten gegeben hat, setzt er Hanns auseinander, und er bemüht sich, seine krähende Stimme zu dämpfen, so daß sie heiser und monoton klingt, dann hat Anna fast immer recht gehabt. Aber auch er ist guten Willens gewesen, und zuletzt ist man auch gewöhnlich zusammengekommen. Man hätte sich auch diesmal verständigt, da gibt es keinen Zweifel. Er hat sich eigens sauber und sorgfältig angezogen für diese Aussprache mit Anna. Das betont er immer

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