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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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festgesetzten Stunde, auch sie kam früher. Sie war erregt. Eifrig erzählte sie, welche Wirkung die Vorgänge um Sepp in der Redaktion getan hätten. Es sei heute, um Sepp zu ersetzen, Hermann Fisch in der Redaktion erschienen, Sepp wisse, der Fisch, der früher am »Berliner Tageblatt« war. Ja, Sepp kannte ihn, Hermann Fisch war ein guter Journalist, aber politisch farblos, ein Schisser. Ja, und das also ließen sich die andern nicht bieten. Sie bestünden darauf, daß Sepp seine Redaktionstätigkeit wiederaufnehme und daß sein Artikel, die fingierte Führerrede, erscheine. Da seien sie alle solidarisch.
    Das also erzählte Erna, übersprudelnd vor Eifer. Die etwas rührseligen Augen strahlten, das kindliche, offene Gesicht war überrötet, gegen ihre Gewohnheit fuchtelte sie mit den Kinderhänden vor Sepp herum. Dann erst machte sie ihmVorwürfe, daß er zwei Tage habe vergehen lassen, ohne ihr etwas mitzuteilen. Sie habe geglaubt, sie seien befreundet: und dann müsse sie so wichtige Dinge auf der Redaktion erfahren, von Dritten, nicht von ihm.
    Sepp war angerührt von ihrem Eifer, und ihre Mitteilungen bewegten ihm das Herz. Er hatte ja gewußt, daß sich die andern vor ihn hinstellen würden. Schon war er wieder ganz und gar Zuversicht. Wie gut, daß er gewartet hatte, ehe er sich mit Anna aussprach. Er hätte sich unnötig gedemütigt. Jetzt, wenn er morgen mit ihr redet, hat er viel festeren Boden unter den Füßen.
    Er schwatzte noch lange mit Erna Redlich, er begleitete sie ein gutes Stück Weges und ging dann selber vergnügt und aufgefrischt nach Hause.
    Das Gas schlug ihm entgegen, verschlug ihm den Atem. Er riß das Fenster auf, lief ins Badezimmer, den Hahn zu schließen. Sah Anna liegen im Wasser der Wanne; ihr Körper war tiefer herabgesunken, doch lag sie noch halb sitzend, das Wasser reichte ihr bis an den Mund. Aber sie sah frisch aus, die Farbe ihrer Haut war kräftig, die Lippen rot. Gott sei Dank, sie lebte.
    Er rührte sie an, sie fühlte sich kalt an, kälter als das Wasser. Er versuchte sie hochzuziehen, der Körper war schwer, leblos. Für einen Augenblick ließ er von ihr ab, atmete stark, gewahrte den Schlauch, der neben ihr in der Wanne lag. Mühte sich von neuem, sie aus dem Wasser zu ziehen. Schließlich, mit großer Anstrengung, brachte er es zustande. Schleifte sie hinüber, zum Bett; der Körper troff Wasser über den ganzen Boden, übers Bett, Sepp selber war ganz und gar durchnäßt.
    Er lief ins Stiegenhaus, klopfte an den Türen nebenan. »Einen Arzt, einen Arzt«, schrie er, sinnloserweise auf deutsch. Ein Kopf steckte sich durch eine geöffnete Tür. »Was ist denn passiert?« fragte es. »Einen Arzt, einen Arzt«, wiederholte Sepp, jetzt auf französisch, »ein Unfall.«
    Er lief wieder ins Zimmer. Ungeschickt versuchte er, Anna ins Leben zurückzurufen, indem er ihre Arme gleichmäßigstreckte und hob. Das ist doch alles nicht wahr, dachte er dabei. Das ist alles nur Einbildung. Ich bin ja verrückt. Das kann sie doch nicht getan haben. »Anna, Anna«, rief er sie an und starrte ihr ängstlich ins Gesicht, erwartend, daß sie erwidere; aber ihr Kiefer war heruntergefallen, und der Mund mit den großen, weißen Zähnen stand grotesk und schauerlich auf.
    Das Radio spielte noch immer. Er schaltete es aus. Dann, hastig, mit wildem Eifer, fuhr er fort, ihre Arme zu beugen und zu strecken. Ich hab mich eigens anständig angezogen für sie, dachte er, zerrüttet. Das muß sie doch gemerkt haben. Daran muß sie doch gemerkt haben, wie gut ich es mit ihr meine. Und woher überhaupt soll sie was von meiner Sache mit Gingold gewußt haben? Ich hab ihr doch gar nichts gesagt. Nein, nein, das ist alles nicht wahr.
    Jemand kam herein, es war Hanns. Nach dem ersten maßlosen Schreck begriff er, viel schneller als vorhin Sepp. Bis der Arzt kam, bemühte er sich zusammen mit dem Vater um Anna, gab kurze, sachliche Weisungen; sonst wurde nichts gesprochen.
    Dann, begleitet von Herrn Mercier, kam der Arzt, mit einem Sauerstoffapparat, auch ein Polizeibeamter. Nach kurzer Untersuchung stellte man fest, daß nichts mehr zu machen sei, und die Männer zogen sich zurück.
    Erst jetzt kam Sepp zum richtigen Bewußtsein dessen, was sich ereignet hatte. Hanns, selber außer Fassung, sah entsetzt, wie der Vater verfiel. Hilflos hockte Sepp da, still weinend, kindlich, endlos. Mit Mühe bewog ihn Hanns, den immer noch feuchten Anzug auszuziehen.
    Dann saßen die beiden in dem überstopften Zimmer,

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