Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
was mit Sepp los sei, prächtig da, seiner Sache sicher, dabei aber auch höchst menschlich. Selbstverständlich, erklärte er, denke er gar nicht daran, auf Sepp zu verzichten, habe doch er selbst Sepp hier hereingebracht, und Sepp werde auch weiter an der »P. N.« mitarbeiten. Formaljuristisch indes sei gegen die von Gingold ausgesprochene Kündigung wenig zu machen. Darin ein politisches Manöver Gingolds zu sehen sei glatter Nonsens. Da werde man was erleben, wenn Gingold dem alten Heilbrun einmal mit so etwas kommen sollte.
Aber die andern gingen darauf nicht ein. Sie bestanden auf klipp und klarem Bescheid, ob er, wie Gingold erkläre, zu Sepps Entlassung seine Zustimmung gegeben habe oder nicht. Da verging ihm allmählich Jovialität und Großartigkeit, und er mußte, sich windend, zugeben, daß er nicht nein gesagt habe. »Das genügt«, beendete trocken Redakteur Berger die Aussprache, und die Herren entfernten sich mit finstern, unheildrohenden Gesichtern.
Heilbrun blieb in großer Not zurück, die Stirn unter dem eisengrauen Stichelhaar war ihm feucht. »Das genügt«, klang es in ihm nach. Er war im Grund ein anständiger Mensch,und er gab im Innern zu, sie hatten recht, die Berger, Pfeiffer und die andern. Er hatte nicht nein gesagt, das genügte, und seine Tochter Greta war höchstens ein mildernder Umstand und sprach ihn nicht frei.
Draußen standen die Redakteure zusammen, voll Grimm, daß ein so fähiger, grundehrlicher Kollege wie Sepp so schnöd auf die Straße gesetzt wurde, das durfte man nicht stillschweigend mit anschauen, das konnte man dem Gingold nicht so glatt durchgehen lassen. Sepp hatte seine Musik an den Nagel gehängt, um mit ganzer Kraft den Kampf um Friedrich Benjamin zu führen, aus Kameradschaft, aus Solidarität. Wenn man auf den verlassenen, abgenutzten Schreibtisch schaute, an dem früher einmal Friedrich Benjamin und an dem zuletzt Sepp Trautwein gearbeitet hatte, dann stieg einem eine heiße Wut hoch. Nein, man durfte diesen Mann nicht im Stich lassen. Es ging in diesem Falle Sepp Trautwein geradezu um die Idee, um den Bestand der »P. N.«. Zwar sprachen die Redakteure mit wegwerfender Ironie von diesem kleinen Dreckblatt und von der eigenen Arbeit. Aber im Innern waren sie doch ein jeder überzeugt, daß es gute Arbeit sei. Arbeit für eine gute Sache. Man hätte, wenn man seine Arbeit nicht für sinnvoll hielte, dieses jämmerliche Dasein nicht weiterschleppen können. Waren aber die »P. N.« noch eine sinnvolle Sache, wenn sich Dinge ereignen konnten wie der Hinauswurf Sepp Trautweins? War das Blatt allen hochtönenden Versicherungen Heilbruns zum Trotz nicht doch zumindest in Gefahr, morgen ein schieres Profitunternehmen des Herrn Louis Gingold zu werden?
Sie standen zusammen, die Redakteure, voll von Unbehagen und Unmut. Da war der dicke Bernhard Pfeiffer, phlegmatisch, asthmatisch, um die Fünfzig herum. Er war jetzt länger als drei Jahrzehnte Journalist, er hatte viel erlebt, es eignete ihm eine breite, Vertrauen einflößende Behäbigkeit, er war gewohnt, jede Erregung zu neun Zehnteln dem Schock der ersten Erfahrung zuzuschreiben, »immer mit der Ruhe«, war seine Lieblingswendung. Heute aber gebrauchte er sienicht. Da war der dürre, lange Georg Berger, gallig, skeptisch, trocken und präzis, sehr bedacht, stets die juristischen Formen zu wahren. Aber heute äußerte er keine solchen Bedenken. Da war der kleine, fixe, geschäftige H. B. Weißenbrunn, olivfarbener, gutgemeißelter Kopf auf zierlichem, schlankem Körper, frech, betriebsam, voll Vorliebe fürs Sensationelle. Heute aber hielt er sich zurück, das Vorgefallene sprach für sich und bedurfte keiner Aufmachung. So verschieden die Redakteure waren, jetzt waren sie einer Meinung. Sie wußten, was heute Sepp passiert ist, kann morgen einem selber geschehen. Die Niedertracht Gingolds richtete sich gegen sie alle, sie richtete sich gegen alles, was Sinn und Wesen der »P. N.« war, gegen die ganze deutsche Emigration. Wenn sie sich mit Sepp solidarisch erklärten, dann taten sie das als Wortführer der gesamten deutschen Emigration.
Vorläufig indes blieb es bei einer dumpfen Entrüstung, die sich nicht zu einem klaren Entschluß oder zu einer bestimmten Aktion verdichtete. So weit kam es erst, als Peter Dülken zu ihnen stieß, der Volontär.
Der junge Mensch, lang, hager, fleischloser, scharfnasiger Kopf mit braunem, eigenwillig langem Haar, kam spät heute. Er kam oft spät, wiewohl er bei aller
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