Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
sprach er sie vor sich hin, die kostbaren Worte, die er da gefunden und die ihm das Neue, Wesentliche der Sowjetleute ein für allemal zu bezeichnen schienen: »Die ersten Menschen des dritten Jahrtausends.«
Von dem saftigen bayrischen Humor Sepp Trautweins waren nur mehr kümmerliche Reste geblieben. Verbittert hockte eran seinem billigen Dutzendschreibtisch, diesem gesichtslosen und geschichtslosen Möbel. Er verfluchte die Aufgabe, an die er sich gebunden. Immer seltener und undeutlicher hörte er die Klänge des »Wartesaals«, ihm war, als ginge die Intensität, die er für seine Redaktionstätigkeit benötigte, seiner Musik verloren, er fürchtete, allmählich werde ihm der Spiritus vollends verrauchen. Er brauchte seine Musik und kam nicht los von seiner Artikelschreiberei. Es war ein elendes Gemurkse.
Äußerlich ging es besser, als man hatte erwarten dürfen. Es war noch Geld da von der Rundfunkaufführung, Doktor Wohlgemuth hatte eine ansehnliche Summe als Annas rückständiges Gehalt geschickt, auch Hanns verdiente in seinem bautechnischen Büro und konnte zum Haushalt beisteuern. Man hatte sein Auskommen. Doch Sepp, früher mit allem zufrieden, raunzte jetzt über alles, über das muffige Aranjuez, den filzigen Monsieur Mercier, das Klaviergestümper, mit dem der »Schuster« nebenan einen behelligte.
Er war unleidlich. Er geriet in immer neue Wut über die Tücken der alten, abgebrauchten Schreibmaschine; wenn aber Hanns, ehrlich bemüht, dem Vater den Alltag zu erleichtern, eine neue anschaffen wollte, dann sträubte er sich. Und wenn der Bub, nachdem Sepp wüst auf das Aranjuez geschimpft hatte, darauf drängte, man solle sich doch, wie schon die Mutter vorgeschlagen, um ein neues Quartier umsehen, dann lehnte er unwirsch ab. Dabei war ihm das Aranjuez in Wahrheit zuwider, und er bereute es, Anna seinerzeit nicht gefolgt zu haben. Allein es wäre ihm – aus lächerlich atavistischer Pietät, wie er sich selber sagte – wie ein Unrecht gegen die Tote vorgekommen, jetzt, ohne sie, umzuziehen. Von diesem seinem wahren Grund ließ er indes nichts vor Hanns verlauten, vielmehr nahm er seine Zuflucht zu allerlei ungereimten Vorwänden.
Es war ihm bewußt, daß seine Gereiztheit nicht aus äußeren Umständen herrührte, sondern aus seiner inneren Situation. Das hinderte ihn nicht, vor Hanns zu raunzen und sich gehenzulassen; viel Sinn für Würde und Haltung hatte er niegehabt. Er grantelte also vor dem Buben herum und ließ seiner Erbitterung gegen die Welt und sich selber freien Lauf.
Immer schärfer plagte ihn Heimweh. Abend für Abend suchte er im Rundfunkapparat die Station München und hörte beglückt die münchnerischen Laute. Er träumte von der Landschaft an der Isar, von den Seen Oberbayerns, ach, könnte er nur eine Stunde ihre Luft atmen.
Einmal, im Rundfunk, hörte er den großen Münchener Komiker Balthasar Hierl. Es war ein alberner, wässeriger Spaß, den Balthasar Hierl erzählte, das Regime hatte ihm die Zähne ausgebrochen, er mußte sich auf billige Kleinbürgerschnurren beschränken. Heut also erzählte er die Geschichte vom Regenschirm.
Will da der Unterleitner in die Stadt fahren. Noch ist der Himmel blau, aber im Westen ziehen Wolken auf. »Meinst, Alte«, fragt er, »ich soll den Regenschirm mitnehmen? Ich glaub alleweil, es könnt regnen.« – »Nachher nimmst ihn halt mit, den Regenschirm«, sagt sie. »Aber«, bedenkt er, »ich muß auf die Bank und hernach zum Notar und hernach zum Huberwirt, und da könnt ich ihn leicht stehnlassen, den Regenschirm.« – »Nachher nimmst ihn halt nicht mit«, meint sie. »Aber«, bedenkt er, »wenn’s nachher doch regnet, dann ist der schwarze Anzug hin.« – »Nachher nimmst ihn halt mit, den Schirm«, rät sie. »Aber«, zweifelt er, »in der Stadt sind sie allesamt Gauner, und wenn ich ihn stehenlaß, den Schirm, dann krieg ich ihn nie mehr.« – »Dann nimmst ihn halt nicht mit«, meint sie. Jetzt aber wird der Unterleitner fuchtig. »Daß man von euch Weiberleut nie keine grade Meinung herauskriegen kann«, giftet er sich.
Sepp hörte die Stimme, die geliebte Münchener Stimme seines Balthasar Hierl. Er freute sich kindisch, er war glücklich wie nur ein Münchener Spießer. Er vermißte nicht das Salz, das ehemals die Späße des großen Humoristen gewürzt hatte, ja, er suchte Philosophie in der kümmerlichen Anekdote. »Il faut qu’une porte soit ouverte ou fermée«, so hatte Musset das ausgedrückt, was Balthasar
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