Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Rat und sagte, er werde ihn sich ernstlich überlegen. Dann ging er über zu dem, was ihm das Herz schwer machte. Leider freilich, fuhr er fort, werde es wohl noch gute Weile haben, ehe er sich auf einen Titel werde festlegen müssen, denn er komme, wie er es vorausgesehen, durch seine Redaktionstätigkeit überhaupt nicht mehr zu künstlerischer Arbeit. Und, mit den Füßen mechanisch und verlegen an die Wand der Wanne stoßend, in einfachen, schwerfälligen, verschämten Worten sagte er es heraus, wie furchtbar schwer er seine Musik vermißte.
Hanns nickte ernsthaft. Ja, das begriff er. Und Sepp war dieses besinnliche Nicken ein größerer Trost als viele Worte.
Trotzdem, fuhr er vertraulich fort, müsse er seine blöde Redaktionstätigkeit weiterführen. Nicht für immer, um Gottes willen. Er habe sich ein Ziel gesetzt, einen Termin. Und Hanns solle ihm ehrlich sagen, ob er das für richtig halte, was er, Sepp, sich da zurechtgedacht habe. »Also«, eröffnete er ihm und dämpfte seine Stimme, als wäre es ein großes Geheimnis, »also: ich muß meine Politik so lange weitermachen, bis die Sache Benjamin erledigt ist. Diese Aufgabe habe ich mir nun einmal gestellt, ich darf sie nicht liegenlassen. Erst wenn der Fall Benjamin endgültig erledigt ist, so oder so, erst dann darf ich zurück zu meiner Musik.«
Er erschrickt selber über das, was ihm da herausgerutscht ist, über dieses nüchterne, grausame, verräterische »So oder so«. Kann er denn überhaupt noch siegen, wenn es ihm gleichgültig ist, wie der Fall Benjamin ausgeht, wenn er nur wünscht, daß er erledigt sei, so oder so? Ist das nicht bereits Desertion?
Hanns merkt nichts von diesem bösen Hintersinn und nichts von den Selbstvorwürfen des Vaters. Er sieht nur, daßSepp eine klare Generallinie hat. Das ist gut. Dabei ist diese Generallinie gar nicht übel. Sepp hat sich ein kleines Ziel gesteckt, gewiß, aber da es für ihn, den Individualisten Sepp, keine Instanz gibt, die ihn, ein größeres Ganzes übersehend, mit einer sinnvollen Aufgabe betrauen könnte, so muß er sich wohl sein Pensum selber wählen. Und er hat sich sogar ein ziemlich vernünftiges Pensum gesetzt und darf sich, wenn er es abgeleistet hat, mit gutem Gewissen der Aufgabe widmen, für die er nun einmal geboren ist, seiner Musik.
Das sagte Hanns denn auch dem Vater mit seinen üblichen, besonnenen, etwas pedantischen Worten. »Na alsdann«, sagte der vergnügt, »es freut mich, daß du mir recht gibst.« Er fühlte sich, nun er endlich einmal, was ihn drückte, herausgesagt und seinen Termin klar fixiert hatte, viel leichter, ja, er wurde übermütig, es wurde ihm wohl, und als ein richtiger Bayer bekam er sogleich Lust auf eine kleine Rauferei. Er fing an, den Buben zu frotzeln. »Es ist erfreulich«, meinte er streitbar, »daß du mich wenigstens in diesem einen Punkt kapiert hast.«
Allein seine Hoffnung auf einen saftigen Disput sollte zuschanden werden. Zwar packte auch den Hanns bei den Worten des Vaters die ererbte Rauflust, aber sofort fing er sich wieder, sagte sich: Jetzt grade nicht, Alter, ging nicht auf Sepps Ton ein, sondern lächelte nur und schwieg.
Sepp versuchte noch mehrmals, Hanns in Rage zu bringen. Doch der Bub schlug nicht zurück, er »gab nicht an«, und schließlich beschied sich auch Sepp, sich lobend für seine Toleranz.
11
Ja, wenn Herr Walther kröche
Sepp, als ihm Monsieur Pereyro die Einladung Madame de Chassefierres überbrachte, erwiderte ziemlich mürrisch. War das nicht so irgendeine »Dame der Gesellschaft«? Er kannte derartige Konzerte zur Genüge, schon von Deutschland her.Da saßen großkopfige Leute herum, schwatzten versnobtes Zeug und kamen sich gebildet vor. Er hatte keine Lust, dieser Madame de Chassefierre und ihren Freunden den Hanswurst zu machen. Monsieur Pereyro setzte ihm auseinander, es handle sich um keine Salonangelegenheit, sondern um eine Demonstration für die Sache der Emigranten. Das Konzert werde vor Leuten von Einfluß stattfinden, ein Erfolg werde nicht nur ihm, sondern der Sache der ganzen deutschen Opposition Gewinn bringen.
Obwohl es Sepp verdroß, wenn man Kunst und Politik auf so äußerliche Art vermanschte, lockte ihn der Vorschlag. Er hätte gern einmal wieder mit eigenen Augen und mit eigenen Ohren wahrgenommen, wie seine Musik auf ein leibhaft vorhandenes Auditorium wirkte. Auch dachte er an Anna, wie sie ihm manchmal in ähnlichen Fällen, wenn er sich zu einer Ablehnung hatte hinreißen lassen,
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