Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Hierl erzählt hatte,und er selber, Sepp, war der Unterleitner. Es riß ihn hin und her wie diesen, und wie diesem war ihm das Ja genauso zuwider wie das Nein.
Von da an gelang es Sepp wieder, sich über sich selber lustig zu machen, er wurde zugänglicher. Er war zwar nicht so wortreich wie früher, aber er war leichter zu haben.
Er beschloß, nicht länger allein an seinem großen Problem herumzukauen, sondern es einmal offen mit dem Buben zu bereden.
Der Bub ist vernünftig. Es ist nicht die Art von Vernunft, die Sepp lieb ist, es ist eine Vernunft, die ihn kratzt. Aber man kann nicht die ganze Welt über den eigenen Leisten schlagen, und wenn die Welt und der eigene Kopf nicht zusammenpassen, dann darf man nicht immer der Welt die Schuld geben. Man sollte gelernt haben im Exil. Wenn man auch nach wie vor weiß, daß die Denkweise der andern nicht in allem stimmt, es hat keinen Sinn, sie als ganzes zu verwerfen, man muß bestrebt sein, davon aufzunehmen, was irgend verdaulich ist. Auf alle Fälle wird er versuchen, mit dem Buben zu reden.
An einem der nächsten Abende, nachdem man gegessen und Hanns sich, wie stets, darangemacht hatte, das Geschirr abzuwaschen, ging Sepp – es war das erstemal seit Annas Tod – zu ihm hinüber ins Badezimmer, und in seiner ungeschickten Art, herausfordernd geradezu, man sah, daß es ihn einen Anlauf gekostet hatte, fragte er: »Jetzt sag einmal, Hanns, aber sag es pfeilgerade, wie es ist, hältst du eigentlich etwas von meiner Zeitungsschreiberei, oder glaubst du noch immer, sie ist für die Katz?«
Das war eine verfängliche Frage. Hanns mußte daran denken, wie die Mutter häufig die Viertelstunde des Geschirrabwaschens dazu benutzt hatte, vertraulich zu ihm zu reden, aber sie hatten sich nicht verständigen können. Er mußte die weichere Stimmung Sepps nutzen und durfte ihn nicht durch eine ungeschickte Antwort vergrämen. Er habe, meinte er vorsichtig, Sinn für die Vehemenz, mit der sich der Vater in die Politik geworfen habe. Aber wenn er schon offen reden solle,dann glaube er nach wie vor, für eine politische Kampfzeitung sei Sepp bei allem guten Willen nicht der rechte Mann.
Sepp saß linkisch auf dem Rand der Badewanne, manchmal stieß er mit dem Fuß an die blecherne Wand, daß es einen scheppernden Klang gab. Richtig, erwiderte er bitter, es komme nicht viel heraus bei seiner Schreiberei, das habe er mittlerweile selber gemerkt. Bei seiner Musik aber, fuhr er fort, grimmig, da komme jetzt einiges heraus. Und er versuchte, Hanns den Plan des »Wartesaals« klarzumachen.
Es war das erstemal, daß er von seiner großen Sinfonie erzählte, er redete sich in Eifer. Hanns hörte aufmerksam zu. Bei diesem »Wartesaal« durfte man sich Gott sei Dank was denken, und was Politisches obendrein. Da konnte Hanns eher mit. Und da Sepp offenbar glühend danach verlangte, diesen »Wartesaal« zu schreiben, so erwiderte er mit einer gewissen Überzeugtheit, ja, diesmal glaube er zu verstehen, was Sepp im Sinn habe, und »Der Wartesaal« sei sicher eine Sache, die ihm liege. Er belebte sich, während er sprach, und nun fiel ihm auch etwas Praktisches ein, was er dem Vater raten konnte. »›Der Wartesaal‹«, sagte er, »›Die Wartesaal-Sinfonie‹, das klingt nicht sehr gut. Aber sind nicht französische Titel für Musikwerke sehr beliebt? Wie wäre es mit ›Sinfonie de la Salle des Pas-Perdus‹?« Sepp wog den vorgeschlagenen Titel. Salle des Pas-Perdus, Saal der verlorenen Schritte, das klang nicht schlecht, da hatten die Franzosen wirklich eine schöne, bedeutungsvolle, bittere und traurige Bezeichnung für eine so nüchterne Sache wie den Wartesaal. Aber für ihn, für das, was er machen wollte, war diese Bezeichnung eher zu schön, zu sentimental. Was er machen wollte, das sollte hart werden, deutlich, streng und bitter.
Doch von diesen seinen Einwänden wird er dem Buben nichts sagen. Er war im Gegenteil sehr froh, wahrzunehmen, daß sich Hanns ehrlich für sein Thema erwärmt zu haben schien. Denn wenn es ihm geglückt war, Hanns auch nur eine blasse Ahnung beizubringen von dem, was »Der Wartesaal« werden sollte, dann mußte der Bub auch einsehen, was fürein ungeheures Opfer es für ihn bedeutete, sich seiner Musik zu entschlagen. Das aber einmal aussprechen zu dürfen vor einem Menschen, an dem ihm lag, darauf kam es Sepp an.
Listig also verhehlte er seine Einwände gegen den Titel »Sinfonie de la Salle des Pas-Perdus«, dankte vielmehr dem Buben für seinen
Weitere Kostenlose Bücher