Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
sie treibe, ist mir gleich. Ich denke, auch Sie haben das bisher gelten lassen, Sie haben mich gelten lassen, wie ich bin, Sie haben mich verstanden. Sie haben verstanden, daß Paris eine Messe wert ist und daß man am Alten Testament seine Freude haben kann, ohne deshalb ein Jud zu werden, und an Dante seine Freude, ohne daß man Katholik ist. So treib ich Nazi-Politik und habe meine Freude daran.« Er stand auf. »Es hat keinen Zweck, wenn wir jetzt darüber weiter diskutieren. Nur glauben Sie nicht, daß ich mich geschlagen gebe, wenn ich Sie jetzt Ihren Betrachtungen überlasse. Sie werden sich Ihren Entschluß nochmals überlegen, des bin ich sicher, und es wird ein Tag kommen, an dem wir uns über Ihre Skrupel in Ruhe aussprechen und mit maßvolleren Worten.«
»Glauben Sie, was Sie wollen, Erich«, sagte Lea, jetzt wieder unerregt und liebenswürdig, »halten Sie es, wie Sie wollen. Aber wenn einmal Professor Trautwein hier sein Konzert gegeben haben wird, hier, Erich, in diesem Raum, wo Sie jetzt stehen, dann werden Sie merken, daß es wirklich zwischen uns aus ist. Und ein Vierteljahr später dann werden Sie, vielleicht sogar wenn Sie allein sind, daran zweifeln, ob Sie Raouls Vater sind.« Auch um diese seine unbegreifliche Äußerung also hatte sie gewußt, und sie hatte ihm nie davon gesprochen.
Nach Hause gelangt, er wußte kaum wie, zwang er sich, seine Gefühle hinunterzudrücken, nur Politiker zu sein, nüchtern zu wägen, ob Leas Verhalten ihm nützlich sei oder unnützlich. Wenn dieses Konzert wirklich zustande kommt, dann ist es eine üble Blamage für ihn. Was wird Heydebregg dazu sagen, was Spitzi? Andernteils rechtfertigt ihn gerade die Öffentlichkeit eines solchen Bruches ein für allemal vor der Partei.
Bald aber schwemmten Trauer und Grimm alle praktischen Erwägungen wieder fort, und er dachte an nichts als an Lea. Erkonnte es nicht fassen, daß er sie so plötzlich und auf immer sollte verloren haben. Was er getan hatte, die blöde Äußerung vor Raoul, das Unternehmen gegen die »P. N.«, das lag doch alles ewige Zeiten zurück und war zehnmal verziehen. Kein Gericht auf der ganzen Welt erkennt auf Scheidung, wenn die Frau nach der Tat, die als Scheidungsgrund angegeben wird, wieder mit einem geschlafen hat. Lea hat ihm und sich selber Theater vorgespielt. Sie hat sich Emotionen verschaffen wollen. Für einen Augenblick hat sie ihn beinahe darangekriegt. Aber er läßt sich nicht hereinlegen. Das beste ist, so zu tun, als wäre nichts gewesen.
Er läutete bei ihr an.
Emile war am Apparat. Während er sonst immer ohne Zögern erwidert hatte, Madame sei zu Hause oder Madame sei ausgegangen, erklärte er ihm diesmal wie einem Fremden, er werde nachsehen, ob Madame zu Hause sei. Madame war nicht zu Hause. Wiesener hängte ein, er hatte das Gesicht eines alten Mannes.
Lea schrieb an einem Brief. Ihre Freundin Marieclaude wurde für die nächste Woche in Paris zurückerwartet; sie teilte ihr mit, daß der emigrierte deutsche Musiker und Schriftsteller Sepp Trautwein bei ihr konzertieren werde. Mehr schrieb sie über diese Angelegenheit nicht.
Einmal, infolge einer Erkrankung, hatte sie sich kahlscheren lassen müssen. So fühlte sie sich jetzt, kahl und leer und sauber.
10
Geduld tut not
Von Hanns wurde in diesen Wochen viel Geduld verlangt. Er hatte seinen Vorsatz wahr gemacht, sein Baccalaureat aufgegeben und arbeitete den Vormittag über als Aushilfskraft in einem bautechnischen Büro; aber das war ein Provisorium, sein Leben war nichts als ein Warten auf die Übersiedlung indie Sowjetunion. Ein langes und bitteres Warten. Die Sowjetleute hatten schlechte Erfahrungen mit Ausländern gemacht, sie schauten sich jetzt jeden genau an, der hereinwollte, und es bedurfte vieler Schreibereien, ehe Hannsens Zulassung an die Moskauer Hochschule genehmigt war.
Am wohlsten noch fühlte er sich bei Vater Merkle. Zwar hatte er seine Versuche aufgegeben, den Alten zu zeichnen – er hatte erkannt, daß da die Lust in keinem rechten Verhältnis stand zum Vermögen –, und da sie beide wortkarg waren, verbrachten sie manchmal Viertelstunden, ohne zu reden. Aber das störte ihn nicht.
So schwer es ihm fiel, kostbare Tage, Wochen, Monate verhocken zu müssen in einer Welt, die nur halblebendig war, er klagte nicht. Hingegen erzählte er dem alten Merkle, wie schwer er es habe mit dem ewig mißvergnügten Vater. Der arbeite zwar ebenso fleißig wie bisher auf seiner Redaktion, aber jedermann müsse
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