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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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traurig eher als zornig vorgeworfen hatte: »Mußt du dir denn immer alles verderben?« Nach einigem Hin und Her sagte er zu.
    In der Redaktion zog man die Brauen hoch, daß Sepp bei der Freundin Erich Wieseners ein Konzert geben wollte, und es dauerte eine Weile, ehe man begriff, daß es einen politischen Erfolg bedeutete, wenn gerade diese Dame für einen Emigranten eintrat.
    Sepp überarbeitete von den Horaz-Oden diejenigen, die er gesungen haben wollte, er schrieb den Klavierauszug einer Partie der »Perser«, Monsieur Pereyro schickte ihm Sänger, welche seine Lieder vortragen sollten. Sowie er wieder über seinen Noten saß, nahm ihn die Musik ganz hin. Wie einer von einer langen, bösen Reise in seine liebe Heimat zurückkehrt, so tauchte er zurück in seine Musik.
    Es geschah bei diesem Anlaß, daß Sepp den Sänger Donald Percy kennenlernte. Das Gesicht des Mannes kam ihm vertraut vor, und er fragte ihn geradezu, ob er der Nath Kurland von der Charlottenburger Oper sei. »Nein«, rief der kleine, heftige Herr. »Nath Kurland bin ich gewesen. Ich habe den Namen abgelegt, endgültig. Ich habe mit dem Namen Kurlandmeine ganze deutsche Vergangenheit abgestreift.« – »Na hören Sie, Herr Nachbar«, meinte gemütlich Sepp, »Nath Kurland klang doch auch nicht gerade provozierend deutsch.« – »Doch, doch«, beharrte Donald Percy, und Sepp sollte im Lauf ihrer Bekanntschaft noch öfter erfahren, daß der Sänger häufig mehr temperamentvoll als logisch sprach.
    Schon wenige Minuten nach Donald Percys Eintritt wußte Sepp genau Bescheid über die Biographie des Sängers. Er stammte aus kleiner jüdischer Familie, war eine Zeitlang Verkäufer gewesen, dann hatte man seine Stimme entdeckt, und seine Eltern hatten gehungert, um ihm das Gesangstudium zu ermöglichen. Gegen die Ungunst seiner ökonomischen Verhältnisse und gegen mancherlei andere Schwierigkeiten – er war klein von Statur, zappelig von Gesten und kämpfte mit seinem jiddischen Akzent – hatte sich seine Stimme durchgesetzt, und er war schließlich an die Charlottenburger Oper engagiert worden. Doch unmittelbar nach seinem ersten, sensationellen Erfolg waren die Nazi an die Macht gekommen und hatten seinen Vertrag einfach annulliert. »Denken Sie«, ereiferte er sich, »und da gab es kein Gericht, an das man hätte appellieren können, keine Bühnengenossenschaft trat für einen ein, wofür hatte man die Beiträge bezahlt? Über Nacht war alles schlecht, was gestern gut war. Können Sie sich das vorstellen? Ein so musikalisches Volk wie das deutsche, ein Volk mit einem solchen Erbe an Musik, verbietet einem Menschen mit meiner Stimme zu singen.« Er tobte, er gestikulierte; noch immer nicht, auch jetzt noch nicht, da er es vielleicht das hundertstemal erzählte, konnte er fassen, was ihm begegnet war. Er malte sein großes, ungläubiges Staunen, den Schreck seiner Eltern, den gewaltigen Zorn, der ihn selber gepackt hatte, und wie er sich nicht hatte zähmen können, sondern herumgelaufen war, schreiend, schimpfend, bis man ihn zuletzt ins Konzentrationslager gesteckt hatte. Jetzt noch sah er rot vor Wut, wenn er an seine Verfolger dachte, aber kaum geringer war seine Empörung gegen jene in Deutschland, die es dazu hatten kommen lassen und weiter dazu schwiegen.»Ich hatte Freunde gehabt«, erzählte er, »Zionisten, jüdische Nationalisten, die den Deutschen immer mißtrauten; ich hatte sie ausgelacht und ihnen die Ohren vollgesungen mit dem Lob deutscher Kultur. Wenn ich jetzt an Deutschland denke, dann ballt sich auch mir die Hand. Manchmal steigt plötzlich auch vor Deutschen, die keine Nazi sind, eine Welle von Haß in mir hoch. Ich kann es den Deutschen nicht verzeihen, keinem einzigen, daß sie das haben geschehen lassen. Selbst Ihnen die Hand zu geben, Professor Trautwein, kostet mich Überwindung. Verzeihen Sie meine Offenheit, aber wenn einmal so ein Gefühl in einem entstanden ist, und mit Grund, Professor Trautwein, mit Grund, dann bringt man es nicht mehr aus sich heraus.«
    Der Sänger Donald Percy wußte nicht, daß, was ihm zugestoßen war, sich wie ein harmloses Spiel ausnahm, gemessen an dem Grausigen, das sich kurze Zeit später in jenem Dritten Reich ereignen sollte.
    Man hätte sich eigentlich an die Arbeit machen und die Lieder probieren müssen, aber Sepp hörte, mehr und mehr hingenommen, dem besessenen jungen Menschen zu. Donald Percy erzählte unmanierlich; er drang auf den Hörer ein, packte ihn an der Schulter, an einem

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