Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
anhingen. Hier war die Einheitsfront geschaffen, die sich unter den Älteren nicht herstellen ließ.
Auch im Jugendverband freilich gab es einzelne, die Hanns heftig befehdeten. Einer vor allem stellte sich ihm bei jedem Anlaß entgegen, ein gewisser Ignaz Hauseder, ein Landsmann und alter, guter Bekannter.
Sie hatten die gleiche Münchener Schule besucht, und Hanns, ein Menschenfischer schon damals, hatte angelegentlich um den schwierigen Ignaz Hauseder geworben. Man konnte sich mit ihm unterhalten, er las viel und hatte Standpunkte, dazu, wie Hanns, sportliche Interessen. Ohne Frage fühlte auch er sich von Hanns angezogen. Allein er hatte eine trotzige, autoritative Art, die Hanns kratzte, und fiel nach unerwartetenFreundschaftsbezeigungen ebenso unvermutet in hochmütige Verschlossenheit zurück. Oft, schon damals, war es zu Streitigkeiten gekommen. Einmal, auf Hannsens Segelboot, anläßlich eines Disputs über die Frage der menschlichen Willensfreiheit, hatten sie sich so ereifert, daß Hanns den Ignaz nach einer besonders unverschämten persönlichen Bemerkung ins Wasser schmiß. »Raus aus meinem Segelboot, du Hundsknochen«, hatte er damals geschrien, und wenn er sich jetzt dieser Anwandlung erinnerte, dann schämte er sich vor allem deshalb, weil er »aus meinem Segelboot« gesagt und auf solche Art verwerfliche Besitzinstinkte gezeigt hatte. Übrigens hatte er ihm natürlich sogleich wieder ins Segelboot zurückgeholfen, auch eine notdürftige Versöhnung war bald wieder zustande gekommen.
Daß er den alten Kameraden hier in Paris wiederfinden werde, hatte Hanns sich nicht träumen lassen. Ignaz hatte, als ihn Hanns aus den Augen verlor, einer nationalbolschewistischen Gruppe angehört, die ein Gemengsel von imperialistischen und halbgaren sozialistischen Prinzipien verkündete und den Hitlerleuten nahestand. Allein die Praxis des Dritten Reichs hatte die Mitglieder dieser Gruppe in die Opposition getrieben, sie hatten gegen die Nazi konspiriert, und als, im Juni 1934, die Nazi die Führer ihres sozialistischen Flügels niedermetzelten, hatte Ignaz es für rätlich gehalten, zu fliehen.
Wie früher im »Turnverein 1879«, so traf Hanns jetzt den Ignaz regelmäßig in seinem antifaschistischen Jugendbund. Ignaz war Buchdrucker, deutsche Buchdrucker waren in Paris gesucht, er bekam rasch Arbeitserlaubnis, es ging ihm nicht schlecht. Schnell stellte sich zwischen ihm und Hanns das gleiche Verhältnis wieder her wie in München. Doch stritten sie noch erbitterter. Ignaz rühmte gerade in der Fremde sein deutsches Nationalbewußtsein, er war Pangermanist geblieben, alles in allem gab es mehr, was ihn mit den Nazi verband, als was ihn von ihnen trennte. In dem Jugendverband war er Hannsens gefährlichster Gegner. Er las viel,besuchte Diskussionsabende und hatte aus manchen Wissenschaften mancherlei Brocken aufgeschnappt, die er gerne wieder von sich gab. Er sah stattlich aus, die Worte flossen ihm leicht vom Mund, es fiel Hanns zuweilen schwer, mit den schlichten, geraden Argumenten der Vernunft gegen sein Schellengeklingel aufzukommen.
Hanns indes hielt es für seine Pflicht, solchen Disputen nicht aus dem Weg zu gehen. Oft freilich blieb ihm davon ein übler Nachgeschmack. Den brachte er am besten weg, wenn er sich an seine geliebten Bücher über die Sowjetunion setzte.
Da war etwa Ehrenburgs Roman »Der zweite Tag«. Das Werk packte ihn von den ersten Seiten an. Ursprünglich hatte er es vorgenommen, um mit seiner Hilfe sein Russisch zu verbessern, und, seltsames Gemisch von Enthusiasmus und Nüchternheit, das er war, verlor er diese seine Absicht niemals aus dem Auge. Sowie er mit einem Kapitel zu Ende war, begann er von vorn, schlug die ihm unbekannten Worte im Lexikon nach, notierte sie säuberlich, repetierte sie, prägte sie sich methodisch ein. Dann aber las er das Kapitel ein drittes Mal, las es »richtig«, ließ sich gehen, begeisterte sich.
Einmal, bei dieser Lektüre, geschah es, daß der nüchterne, gesetzte Junge, der eher umständlich und pedantisch dachte und sprach, zum Dichter wurde. Es fielen ihm Worte ein, die er lange vermißt hatte, Worte, durch welche sich ihm, dem Freund der Ordnung und Katalogisierung, erst erschloß, wen und was eigentlich er in der Sowjetunion suchte. Eine tiefe Freude überkam ihn, ihm war wie damals, als er auf seinem Segelboot über den Ammersee geflogen war, oder wie damals, als er die Nike von Samothrake gesichtet hatte. Laut und langsam, sie auskostend,
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