Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Oper zugejubelt haben.« – »Es sind nicht die gleichen Leute«, bemerkte mild Zarnke und schenkte ihm neu ein. »Doch«, beharrte Donald Percy, »es sind die gleichen. Kommen Sie mir nicht damit, es gebe Deutsche und es gebe Boches. Alle Deutschen sind Boches. Die machen auch keinen Unterschied zwischen Jud und Jud, obwohl mir einer einmal gesagt hat, es gebe Juden und es gebe Israeliten. Ich bin kein Israelit, ich bin ein Jud.«
»Jetzt trinken Sie noch einen Kirsch«, beruhigte ihn Zarnke, »und hören Sie schon auf mit Ihren Juden. Sehen Sie, jeder hat Geltungsdrang, jeder möchte was Besseres sein als der andere. Im brasilianischen Urwald gibt es einen primitiven Stamm, die Bakairi. Bei denen heißt ›wir‹ ›kura‹, und das heißt gleichzeitig auch ›gut, edel‹. Und ›nicht wir, fremd‹ heißt ›kurapa‹, und das heißt gleichzeitig auch ›schlecht, häßlich, scheußlich‹. Da haben Sie den Grund, warum die Nazi und die Bakairi gegen die Juden sind.«
»Es ist sehr einfach«, sagte der Arbeiter Thudichum. »Die Nazi sind gegen die Menschenrechte. Die Ausbeuter sind immer gegen die Menschenrechte.«
Donald Percy hatte ziemlich viel getrunken und wurde streitlustig. »Was ihr da vorbringt«, rief er, »mag alles ganz richtig sein, aber erklären tut es gar nichts. Sagen Sie mir, Sie Siebengescheiter«, drang er unvermittelt auf Peter Dülken ein, »wenn wir Deutschland wiederhaben, was fangen wir dann mitdiesen Rundfunkansagern an? Dieses Drecksgesindel, das tagein, tagaus den ganzen Schmutz des Reklameministeriums ausschleimt, auf sächsisch, schwäbisch, kölnisch, ostpreußisch, das muß doch ganz zerfressen sein wie von einer schmutzigen Krankheit. Gott, wenn ich so einen Burschen einmal unter meinen Fäusten hätte«, und er sprang auf, begeistert von der wollüstigen Vorstellung.
Alle hatten sie sich oft beschäftigt mit den Hoffnungen und Sorgen, was sein werde, wenn man wieder in Deutschland zurück sei, in welchem Zustand wohl man die Heimat wiederfinden werde und was man dort tun solle. Jetzt, da sie getrunken hatten, stand diese Lieblingsvorstellung, sowie Donald Percy erst einmal daran gerührt hatte, doppelt erregend in ihnen auf. »Ja«, meinte Zarnke, »wie man in Deutschland aufräumen soll, wenn wir es erst einmal wiederhaben, das ist eines der schwierigsten Probleme. Es wird nicht leicht sein, zu unterscheiden zwischen den zahllosen Muß-Nazi, den Beefsteaks, die außen braun sind und innen rot, und den wirklichen Braunen.« – »Man wird da nicht bedenklich sein«, mischte sich der Arbeiter Thudichum ein, seine langsame, schwerfällige Stimme klang grimmig. »Man wird da nicht lange fackeln. Wir haben nicht vergessen, wie falsch wir es 1918 gemacht haben. Wir werden es kein zweites Mal falsch machen. Diesmal werden wir keine Angst haben, das faule Fleisch ganz wegzuschneiden, auch wenn gesundes mitgeht.«
»So einen Rundfunkschleimer«, beharrte rachsüchtig Donald Percy, »hätte ich noch lieber zwischen den Fäusten als den Kantschuster.« – »Wer ist Kantschuster?« erkundigte sich sachlich Zarnke. »Der Kantschuster war drei Wochen mein Aufseher im Konzentrationslager«, gab ihm Donald Percy Auskunft. Der Arbeiter Kaspar Thudichum fragte interessiert: »Sie haben also auch den Kantschuster gehabt?« – »Ja«, erwiderte Donald Percy, und bitter stellte er fest: »Die Welt ist klein, man hat leicht gemeinsame Bekannte. Früher hatten ganze Generationen nur die gleichen Lehrer, jetzt haben sie auch die gleichen Wärter.« Und: »Das war ein Sadist, derKantschuster«, schwelgte er in Erinnerungen. »Er hat einen in den Bach springen lassen bei Eiseskälte, die Kleider froren einem am Leib, er hat einen springen lassen, zweimal, dreimal, bis man blau und ohnmächtig liegenblieb. Das kann man nicht nachfühlen«, wandte er sich vorwurfsvoll, beinahe herausfordernd an die andern, »wenn man mit trockenen Kleidern im geheizten Zimmer sitzt.« Aber: »Der Kantschuster«, dämpfte ihn auf seine ruhige, gewichtige Art Kaspar Thudichum, »war nicht der Schlimmste.« – »Er war der Schlimmste«, beharrte streitbar Donald Percy. »Da hätten Sie den Amann sehen sollen, das war eine Bestie«, beharrte nicht minder hartnäckig, doch immer gelassen Kaspar Thudichum. »Wegen jeder Kleinigkeit hat er einen krummschließen lassen und dann die Hunde auf einen gehetzt oder einen mit dem Ochsenziemer traktiert. Alle, die mit dem Amann zu tun hatten, haben heute noch ihre Narben von den
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