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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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»ich hab jetzt die Papiere zusammen.« – »Da wird man sich halt einrichten müssen«, sagte Sepp, »da wird man sich halt behelfen müssen.« Er plapperte, er redete offenbar nur, damit kein Schweigen entstehe.
    Seit dem letzten Gespräch spürte Hanns wieder viel mehr Vertrautheit zwischen dem Vater und sich selber; es ging ihm schon verdammt nahe, daß er ihn allein lassen mußte. »Heute sind wieder achttausend Franken auf dein Konto eingezahlt worden«, sagte er hastig. Nur jetzt reden, nur jetzt von Praktischem sprechen, keine Sentimentalität aufkommen lassen. »Wenn das so weitergeht«, fuhr er fort, »wirst du bald von deinen Zinsen leben können. Im ›Paris Midi‹ ist heut auch ein Artikel über dich gestanden, der sich gewaschen hat.« Es klang unbeholfen wohlwollend, als wollte er den Vater durch den Hinweis auf Ruhm und Erfolg über die Trennung wegtrösten.
    Sepp lächelte. »Ich mach dir wirklich keine Vorwürfe, Hanns«, antwortete er auf das, was der Bub nicht gesagt hatte, und schaute ihn aus seinen tiefliegenden Augen freundlich und ernsthaft an. »Du darfst nicht denken«, fuhr er fort, »daß es bös gemeint war, wenn ich unlängst so gegen dein Moskau aufbegehrt habe. Inzwischen hab ich mich längst wieder derfangen. Überhaupt bin ich in letzter Zeit viel duldsamer geworden.«
    »Wenn du von deiner Duldsamkeit anfängst«, antwortete Hanns, auch er lächelnd, »dann krieg ich Angst. Dann bist du gewöhnlich besonders schwer zu haben.« – »Diesmal nicht«, versprach Sepp. »Seitdem ich wieder ganz zu meiner Musik habe zurückdürfen, bin ich gescheiter geworden. Es ist schade, daß ›Der Wartesaal‹ nicht mehr fertig wird, solang du noch da bist. Ich glaube, das wird eine Musik, mit der auch du etwas anfangen kannst. Aber ›Der Wartesaal‹ wird sicher im Rundfunk sein, und dann schick ich dir ein Telegramm. Anständige Rundfunkapparate wenigstens, hoffe ich, werden sie in Moskau haben.« – »Das hoff ich auch«, antwortete duldsam Hanns.
    »Im Ernst«, sprach Sepp weiter, »mir scheint, wir sind einander ein wenig nähergekommen, politisch. Früher zum Beispiel hätte ich aus dem Erfolg im Fall Benjamin allgemeine Schlüsse gezogen. Jetzt weiß ich genau, es war ein winziger Einzelfall, der gar nichts beweist. Den Journalisten Friedrich Benjamin haben wir vor seinen Vergewaltigern gerettet. Das Land Abessinien werden wir nicht retten können.« Er nahm einen Anlauf, und in die sich vertiefende Dunkelheit hinein, in der er das Gesicht seines Sohnes nur noch undeutlich wahrnahm, bekannte er: »Mit deinem wichtigsten Prinzip, Hanns, hast leider du recht und ich unrecht. Es ist leider ein Schmarrn, wenn man behauptet, Geist ohne Gewalt könne sich durchsetzen. Eine gerechte Ordnung auf der Welt läßt sich ohne Gewalt nicht herstellen. Diejenigen, die Interesse haben an der ungerechten Ordnung, geben nicht klein bei, wenn man sie nicht mit Gewalt dazu zwingt. Das hab ich mittlerweile begriffen.«
    Hanns hörte gespannt zu, aufgerührt und froh, daß sich Sepp nun doch durchgebissen hatte und daß er ihm hatte dazu helfen können.
    »Ich kann nicht sagen«, fuhr Sepp nach einer Weile fort, »daß ich mich behaglich fühlte in meiner neuen Erkenntnis. Ihr andern, ihr habt es gut. Ihr sitzt in eurer Weltanschauung wie der Dotter im Ei, ihr meßt die ganze Welt an euern Prinzipien ab wie an einem Zentimeterstab, alles, was es gibt, ist euch so ausgemacht wie daß zwei mal zwei vier ist, und ihr fühlt euch sauwohl. Ich fühl mich gar nicht wohl. Ich habe begriffen, daß eure Grundprinzipien richtig sind: aber ich hab es eben nur begriffen, mein Hirn sieht es ein, aber mein Gefühl geht nicht mit, mein Herz sagt nicht ja. Ich fühle mich nicht heimisch in deiner Welt, in der alles Vernunft und Mathematik ist. Ich möchte in ihr nicht leben. Mir scheint, es haben in ihr die Massen zuviel zu sagen und der einzelne zuwenig. Ich hänge an meiner altmodischen Freiheit. Die Geleise meines Hirns sind zu tief eingefahren, ich komme da nicht mehr heraus. Ich kann höchsten noch in der Theorie umlernen, nicht in der Praxis.«
    »Verzeih«, wandte vorsichtig Hanns ein, »aber ich glaube, du unterschätzt dich. Hast du mir nicht selber gesagt, daß du dir für den ›Wartesaal‹ eine völlig neue Musik schaffen mußtest? Und ist dir deine neue Musik unbehaglich?« Darauf ging Sepp nicht ein. »In deiner Welt jedenfalls«, erklärte er ungeduldig, »würde ich mich schrecklich ungemütlich fühlen, das

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