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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Bißwunden. Das war einer, der Amann.« – »Schlimmer als der Kantschuster kann keiner gewesen sein«, ereiferte sich Donald Percy. »Der Amann war schlimmer«, beharrte Thudichum. »Da schauen Sie einmal her«, und er entblößte Waden und Schenkel, um die Narben der Hundebisse herzuzeigen. Donald Percy, erbittert, weil er keine Narben vorzuzeigen hatte, erzählte eine weitere Scheußlichkeit seines Kantschusters. Der Arbeiter Thudichum seinesteils wartete mit einer neuen wüsten Gemeinheit seines Amann auf, und beide begannen sie jetzt die Greueltaten ihrer Aufseher mit einer gewissen kalten, grausigen Sachlichkeit herzuzählen; ihr Bericht war gespickt mit schauerlichen Einzelheiten und grotesk trockenen Fachausdrücken, einer suchte den andern zu überbieten. »Das können Sie doch nicht leugnen«, stellte schließlich Thudichum fest, »daß der Stenzer draufgegangen ist durch den Amann.« Einen kleinen Augenblick bedachte sich Donald Percy, dann sagte er, auf einmal merkwürdig trüb: »Draufgegangen sind viele«, und nun schwiegen beide. Ja, es waren viele draufgegangen, es bestand zwischen ihnen beiden eine gewisse Gemeinsamkeit, die sie aus den andern Anwesenden heraushob,weil sie nämlich mit den Draufgegangenen zusammen gewesen waren, und nun schämten sie sich plötzlich ihres läppischen Streites.
    Zarnke und Dülken hatten betreten wahrgenommen, mit welch zänkischer Beharrlichkeit die beiden die Greuel ihrer Wärter gegeneinander ausspielten. Die Feststellung, mit welcher dann Kaspar Thudichum die peinliche Auseinandersetzung beendet hatte, die Feststellung nämlich, daß der Stenzer doch draufgegangen sei, hatte auch ihnen ein Frösteln über die Haut gejagt. Jetzt sahen sie von dem einen zum andern. Beide waren sie klein von Statur, Kaspar Thudichum und Donald Percy, doch sonst höchst verschieden innen und außen. Eines aber war ihnen offenbar gemeinsam, die Zähigkeit, mit der sie im Konzentrationslager durchgehalten, und die harte Wut, die sie von dort mitgebracht hatten.
    »Das Schlimmste an dieser Herrschaft der Halbtiere«, meinte nach einer Weile Zarnke, immer noch mitgenommen von dem albernen Streit der beiden, »das Schlimmste ist, daß sie es mit allen Mitteln darauf anlegen, den Menschen zu entmenschen. Eines haben sie damit erreicht: ein jeder von uns hat etwas von seiner Menschlichkeit eingebüßt, einen Tick haben wir alle abgekriegt. Ich hab auch den meinen«, erklärte er entschuldigend und lächelte beinahe; er dachte aber an seine Sehnsucht nach Berlin, nach Moabit, nach seinem törichten Sohn. »Wenn wir unser Deutschland zurückhaben«, meditierte er, »dann wird es verflucht schwer sein, die Lebewesen dort, die Jahre der Bestialisierung hinter sich haben, wieder zu Menschen zu machen.«
    »Ich fürchte«, meinte der Arbeiter Thudichum, »Sie brauchen sich da nicht so bald den Kopf zu zerbrechen. Bis wir einmal unser Deutschland zurückhaben, das kann verflucht lange dauern.« – »Man darf die Geduld nicht verlieren«, erwiderte sanft Zarnke. »Die Juden sagen spaßhafterweise von einem sehr langen Menschen, er sei lang wie das Exil. Wobei sie unter Exil die Zeit verstehen von der Zerstörung ihres Tempels an, das wären beiläufig achtzehnhundertfünfundsechzigJahre. Was haben da wir zu bestellen mit unsern noch nicht drei Jahren?«
    »Ich glaube«, nahm Peter Dülken die frühere Betrachtung Zarnkes wieder auf, »wir werden unsern Deutschen den Kopf sehr rasch zurechtgesetzt haben. Den ganzen Krieg hindurch, vier Jahre lang, hatte man uns Tag und Nacht gepredigt, es gebe keine größere Zeit als die des Stahlbads und der harten Disziplin. Und – Sie müssen das besser wissen als ich, Sie haben es mit erlebt – in ebensoviel Stunden waren wir dann wieder zur Vernunft gebracht. Warum soll es jetzt nicht ebensogut glücken?«
    Sie schalteten den Rundfunkapparat ein, um die deutschen Stationen von neuem abzuhören. Nun aber waren die Veranstaltungen des Parteitags und die Berichte darüber zu Ende, und an ihrer Statt kam aus dem Apparat ein Spätabendkonzert, eine Haydn-Sinfonie, meisterhaft gespielt. »Glauben Sie ernstlich«, fragte, als der zweite Satz zu Ende war, mit gedämpfter, ergriffener Stimme Peter Dülken, »daß wir dieses Volk nicht wieder werden zu Menschen machen können?«
    Noch bevor indes Zarnke antworten konnte, und ehe der dritte Satz begann, kam eine der bekannten widerwärtigen Stimmen aus dem Apparat, und in den bekannten widerwärtigen Wendungen

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