Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
verkündete sie die Größe des Dritten Reichs und die Erbärmlichkeit der übrigen Welt. Nacht für Nacht sandte das Dritte Reich solche Reklame in den Äther, eingewickelt in sehr gute Konzerte, auf daß viele Millionen, die sonst von dieser Reklame nie hätten erreicht werden können, gezwungen seien, sie mit der Musik in sich aufzunehmen.
Dann aber, nach einigen Minuten, verhallte das Gebell der Nazi, und es blieb nichts als die deutsche Musik.
Sepp hatte die ganze Zeit über am »Wartesaal« gearbeitet. Man kündigte Aufführungen seiner Werke an, in Paris, auch zum erstenmal in London. Er kümmerte sich nicht darum, er arbeitete.
Auch was in Nürnberg geschah, wurde ihm Stoff für den »Wartesaal«. Er war sich klargeworden über die Aufgabe, die ihm in dem Kampf gegen die Barbarisierung zugewiesen war. Er hatte jetzt seine Sinfonie zu schreiben und sonst nichts, und wenn es ihm gelingt, das, was er in seinem Innern hört, die andern hören zu machen, dann wird er sein Teil dazu beigetragen haben, die Barbaren zu bekämpfen.
Die Menschen die ganze Bitterkeit des Wartens spüren machen, das war seine Aufgabe. Und Nürnberg, das war auch nur eine Phase jenes großen Wartens. Nürnberg, das bedeutete, daß wieder eine Gelegenheit versäumt, daß wieder ein Zug vorbeigegangen war, auf den man vergeblich gewartet hatte. Die sogenannte deutsche Kultur, von der so viele so vieles erhofft hatten, war zerschlagen worden, sie hatte nicht helfen können, die Zustände der Menschen zu verbessern.
Nürnberg, das war in Wahrheit ein Gleichnis. Nürnberg: Gottfried Keller hatte daran geglaubt und es dargestellt als eine Stätte und eine Gemeinschaft des Wissens, der Kunst, der Zivilisation. Nürnberg: Richard Wagner hatte daran geglaubt und es auf die Bühne gezaubert als einen festlichen Rausch von Glanz und Gloria. Nürnberg: die Hitler und Streicher, in diesen Zeiten des »Wartesaals«, hatten es zu einem Versammlungsort des Pöbels gemacht, zum Aufmarschgelände der Dummheit und Gewalt. Jetzt hatte es ein doppeltes Gesicht bekommen, dieses deutsche Nürnberg. Noch war das Nürnberg Albrecht Dürers in den Herzen und den Sinnen vieler, aber fortan wird, wenn der Name der Stadt genannt wird, auch das Nürnberg Hitlers nicht mehr wegzudenken sein. Sowenig wie Größe, Kraft und Kunst werden in Zukunft, wenn der Name der Stadt genannt wird, Roheit und Gewalt von diesem Nürnberg wegzudenken sein. Vielleicht wird für die Späteren weder Albrecht Dürer noch Adolf Hitler das Wahrbild der Stadt sein, sondern jener große Nürnberger Meister Veit Stoß: bei Tag übte er seine Kunst um der Kunst willen, nachts nützte er sie, um Wertpapiere zu fälschen.
Was Sepp in diesen Tagen las, dachte, spürte, lebte, ließ er einströmen in seine Musik. Es war glückliche Arbeit. Alles »kam«. Von diesem »Wartesaal« wird kein Tschernigg mehr sagen können, er sei Opium, und keine Anna, man rieche den Schweiß. Nichts mehr war da von dem akademisch hölzernen Prunk des »Inferno«, es war lebendige Musik. »Schrei, Kunst, schrei und klag dich sehr«; ja, seine Kunst schrie, seine Kunst klagte, sie klagte an, man wird diese Anklage nicht überhören können.
Triumph war in Sepp, ungeheure Sicherheit.
In diesen Tagen las er, daß einer der Nazibonzen die Philharmoniker beordert habe, ihm Tafelmusik zu machen. Dann, als sie ihm und seinen Gästen zum Essen aufspielten, habe er Leonhard Riemann einen Adjutanten geschickt mit der Weisung, leiser zu spielen, sie störten die Tischgespräche. Sepp Trautwein war nicht in der Lage, nachzuprüfen, ob die Nachricht stimme, aber er stellte sich seinen Riemann vor, was der für ein Gesicht gemacht haben mochte, als er die Order erhielt, wie er wohl geschwankt und schließlich doch gehorcht und wie er sich ohnmächtig empört hatte, als ihm die Lackel befahlen, leiser zu spielen. Er hatte Mitleid mit dem Riemann. Aber wer hat es dem Riemann geschafft, bei den Lackeln zu bleiben?
Er jedenfalls, er, Sepp, saß hier und schrieb den »Wartesaal«. Er arbeitete, er spielte sich seine Musik vor, er schwitzte, er schnalzte mit der Zunge, er lachte vor Glück.
Auch an Peter Dülken dachte er, der sich in seiner Redaktion abzappelte, statt Musik zu machen, und auch für ihn hatte er ein fast übermütiges, geradezu ruppiges Mitleid. »Der Wartesaal« wird euch keine Unehre machen, dachte er. Er verstand aber unter euch die Gesamtheit der Emigranten, und lächelnd beschloß er, Peter Dülken die
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