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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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weiß ich. Ich müßte lauter liebe Gewohnheiten aufgeben, ohne die ich mir mein Leben überhaupt nicht vorstellen kann. Das sind armselige Worte«, unterbrach er sich zornig, »und was ich zu sagen habe, das läßt sich leider nicht in Worten ausdrücken. Das Alte ist doch noch nicht tot, und das Neue ist noch nicht lebendig, es ist eine scheußliche Übergangszeit, es ist halt wirklich ein jämmerlicher Wartesaal. In meiner Musik ist das drin. Aber wenn man es so hinsagt, dann klingt es kleinlich und wehleidig, und du findest mich natürlich furchtbar sentimental. Oder nicht? Oder verstehstdu, was ich meine?« fragte er streitbar, ganz der alte, heftige Sepp.
    »Ich glaube schon«, antwortete bescheiden Hanns. Seine ruhige Antwort machte auch Sepp wieder gemütlich. »Ich bin heilfroh«, vertraute er dem Buben an, »daß ich auf meiner ›P. D. P.‹ ausgeharrt habe, bis der Fall Benjamin entschieden war, und daß ich erst dann zu meiner Musik zurück bin. Viel war es nicht, was ich dadurch erreicht habe, und vielleicht findest du, daß die Ansprüche, die ich an mich stelle, dürftig sind. Ich komme mir selber manchmal ein bißchen kahl und gerupft vor, als Politiker, meine ich, wenn ich jetzt so satt und quietistisch daherrede wie ein Drei-Quartel-Privatier. Aber mir genügt, was ich getan habe, es war eine Anstrengung, mein Lieber, und ich hab ein gutes Gewissen. Und jetzt sag ehrlich, Hanns: schaust du inwendig recht stolz auf mich herunter?«
    »Ich bin doch kein Rindvieh«, erwiderte schlicht Hanns. »Herunterschauen? Froh bin ich. Ich fahr jetzt viel beruhigter fort.«
    Sepp schämte sich ein wenig seines Selbstbekenntnisses. »Jetzt aber Schluß mit der Eingeweidebeschau«, sagte er. »Ich komm mir schon vor wie einer der Kerle auf den scheußlichen Schinken in den Arkaden des Hofgartens, wie so ein bayrischer Herzog, der abdankt und dem Sohn großartig Krone und Zepter überreicht. In der Schule haben wir ein Gedicht lernen müssen, ich weiß nicht, ob man’s euch auch noch eingetrichtert hat, da war ein Vers darin: ›Sohn, da hast du meinen Speer. / Nimm ihn, mir ist er zu schwer.‹ Da hast du ihn also, den Speer, Hanns. Ich zieh mich auf mein Altenteil zurück.«
    »Weißt du, Sepp«, antwortete Hanns, »es ist schon sehr angenehm, daß du dich jetzt auf deine Musik beschränkst. Da kannst du hier in Paris weniger Unheil anrichten, und ich kann in Moskau besser schlafen.«
    Spät am Abend des nächsten Tages, als Sepp über der Arbeit an der Sinfonie saß, hörte er auf einmal das, was er bis jetzt sobitter vermißt hatte. Er hörte, wie der so qualvoll lang erwartete Zug kam, »quand même«, und wie die unsichtbare Mauer des Wartesaals einstürzte und wie die Wartenden losfuhren, endlich, in die Freiheit.
    Er horchte tief in sich hinein. Da war es also aus ihm herausgebrochen, wie er es hatte haben wollen, rein und einfach, nicht blaß und verworren idealistisch wie seinerzeit am Ende des »Inferno« bei der Erscheinung der Beatrice. Auch nicht pathetisch, keine billige, jubelnde Zuversicht, kein wohlfeiler Rausch, wie er ihn damals gespürt hatte, 1914, vielmehr war es ein Glaube, der mit Opfern bezahlt war, ein Glaube, dem bei aller Zuversicht viel Trauer beigemischt war über das Preisgegebene. Ein Glück, das einem das Herz eher schwer machte als leicht.
    Sepp probte die Klänge aus, zaghaft, demütig. Es war Anna, der er als erster den Schluß des »Wartesaals« vorspielte.
    Da er sich dunkel erinnerte, daß er Herrn Mercier und seinen Nachbarn zugesagt hatte, nach zehn Uhr abends nicht mehr zu spielen, spielte er zuerst sehr leise. Bald aber vergaß er die Nachbarn, nichts mehr war da als »Der Wartesaal«, er hämmerte auf die Tasten los. Es klang nicht schön, die ringsum klopften: aber ihm klang es gut, und auch den Späteren wird es gut klingen.
17
Nürnberg
    In diesen Septembertagen fand, wie alljährlich, der große Parteitag der Nationalsozialisten in Nürnberg statt.
    Seitdem sich die Nazi des Reichs bemächtigt hatten, machten sie aus diesem ihrem Parteitag einen gewaltigen Jahrmarktsrummel, eine ungeheure Parade von Soldatenbeinen, Uniformen, Bannern, Dummheit, Blechmusik und Geschrei. Ihre Redner ließen ihren Größenwahn sich überschlagen und erfanden die irrsinnigsten Märchen, ihre Kraft und Tugendzu preisen und die Schwäche und Schlechtigkeit ihrer Gegner zu verhöhnen. Nach dem Prinzip ihres Führers: »Je dicker eine Lüge ist, um so eher wird sie geglaubt«, war diesen

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