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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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hatte er es vorgezogen, es fürs erste bei seinem düsteren Strahlen zu belassen. Zutrauen hatte er nun einmal nur zu diesem Schwein, dem Wohlgemuth.
    Auch heute war Spitzi in Begleitung Madame Didiers; in letzter Zeit sah man ihn sehr häufig mit ihr. Wiesener, während er angeregt schwatzte, betrachtete das Gesicht des Feindes. Eigentlich sieht der Bursche scheußlich aus. Ob er das bei den Frauen wettmacht durch den pikanten Horst-Wessel-Geruch, der jetzt um ihn ist? Schwerlich. Diese Corinne zwar scheint fest an ihm zu hängen. Sie ist appetitlich, das Luder, ihr Glaube an gewisse mystische Dinge scheint nicht gespielt und gibt ihr Atmosphäre. Wenn jetzt Spitzi für längere Zeit fort sein wird, dann wäre da für ihn, Wiesener, eine reizvolle Beschäftigung für freie Stunden. Daß er sie gerade Spitzi ausspannen müßte, erhöht den Reiz. Sogleich also beginnt er auf seine trainierte Art mit Madame Didier zu flirten. Spitzi durchschaut natürlich, worauf er hinauswill; aber er läßt es ruhig geschehen, ja, es scheint ihm Spaß zu machen, daß sich Wiesener so abzappelt.
    Dann, nach einer Weile, beiläufig, sagt er: »Madame Didier fährt übrigens mit nach Berlin.«
    Wiesener kann seine Verblüffung kaum verbergen. Er selber etwa hätte niemals daran denken dürfen, Lea nach Deutschland mitzunehmen, kaum das Nilpferd hätte sich dergleichenleisten können. Dieser Spitzi aber macht ohne weiteres eine Tochter des Erbfeindes zur Genossin seines Ruhms. Er nimmt sie auf seine Triumphfahrt mit, als wäre das das Natürlichste von der Welt. Ihm ist alles erlaubt, dem Märtyrer, dem Horst Wessel zwei.
    Das Nilpferd hat mit dem Bild abziehen können, Spitzi zerrt grinsend seine Konkubine mit nach Berlin: er, Wiesener, sitzt da vor dem leeren Fleck, und vom nächsten Frühling ab kann er toggenburgern in dem Haus, das seine Geliebte verlassen hat.
    Jetzt erst recht, sagt er sich und bemüht sich mit doppeltem Elan um Corinne. Spitzi errät, was in ihm vorgeht. Da kannst du lange lauern, mon vieux, meint er in seinem Innern und lächelt leise; er vergißt immer wieder, daß jetzt das leiseste Lächeln bei ihm zum Grinsen wird.
    »Was meinen Sie zu Spitzis Anzug, Monsieur Wiesener?« fragte Corinne. »Finden Sie ihn nicht ein bißchen zu winterlich?« – »Für Berlin kann man nicht früh genug winterlich sein«, meinte Spitzi, und Wiesener stimmte zu. Er und Corinne schickten sich an, zu gehen. »Aber die Krawatte ist zu hell«, beharrte Corinne.
    »Was halten Sie von Spitzi, Lotte?« fragte Wiesener, nachdem die beiden fort waren. »Er ist reichlich häßlich«, meinte Lotte, »aber er hat seinen Heiligenschein.« Immer, wenn man die Neue was fragte, bekam man solche Banalitäten zu hören. Maria, als er sie einmal um ihre Meinung über Spitzi befragt, hatte geantwortet: »Er hat kein Zentrum, keine Mitte«, und das war eine Antwort gewesen, die gesessen hatte, mit der man etwas hatte anfangen können.
    »Keine Mitte«, das galt nicht allein für Spitzi, das galt auch für ihn selber und für das ganze Dritte Reich.
    Wenn Wiesener keine Mitte hatte, so wurde dafür sein Außen immer glänzender. Geld strömte herein, sein Ansehen wuchs. Immer mehr vervollkommnete er die Methode, seine Aufsätze so zu schreiben, daß sie dem Kenner etwas sagten und dennochpopulär genug blieben, daß auch Nazi sie noch verstanden. Er schrieb für den Professor und für die Köchin und war der meistzitierte deutsche Journalist. Überdies zog auch der Erfolg des »Beaumarchais« Kreise. Seitdem die Nationalsozialisten ihre Autoren von Geltung vertrieben hatten, überschritt ihr Schrifttum nicht mehr die Grenzen ihres Reichs. Wieseners »Beaumarchais« aber wurde in manche Sprachen übersetzt, und die Nazi, stolz, wieder einen Autor von internationalem Ruf zu haben, verhätschelten ihn.
    Spitzi blieb vorläufig in Berlin. Er kümmerte sich nicht um das, was Wiesener trieb; mit seinem Erfolg war sein alter Fatalismus zurückgekommen, und wenn sich Wiesener die Illusion machen wollte, er sei der Repräsentant des Reichs in Paris, so tat Spitzi nichts, um ihn darin zu stören. Zumindest während der Abwesenheit Herrn von Gehrkes hatte Wiesener die Macht, an der sein Herz hing. Er durfte zufrieden sein mit diesem Oktober.
    Er saß in seiner Bibliothek. Das Haus war geheizt, doch ihn fröstelte. Jeden Winter beschloß er, sich in die Bibliothek einen Kamin einbauen zu lassen, jeden Sommer vergaß er’s, und jetzt hätte es nicht mehr gelohnt;

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