Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
herzlich«, fuhr er fort, »daß die Leute in Berlin Friedrich Benjamin herausgeben. Aber ich glaube nicht, daß noch so gescheite und noch so zündende Worte sie dazu bringen. Und ob die Schweiz auf seiner Auslieferung bestehen wird, das hängt, glaube ich, auch nicht in erster Linie von moralischen Rücksichten ab. Ich glaube nicht, daß man mit Moral in der Welt durchkommt, wenn keine Kanonen dahinterstehen. Ich glaub’s halt einmal nicht«, schloß er. Er sprach jetzt sehr münchnerisch; das besänftigte Sepp und stellte das Gefühl der Verwandtschaft wieder her mit seinem Sohn, der ihm soeben noch fremd und unbegreiflich gegenübergesessen war.
»Und was soll also sein?« erwiderte er; es sollte ohne Schärfe herauskommen, klang aber doch gereizt. »Sollen wir dem Reich den Krieg erklären? Du, ich und Herr Heilbrun?« Hanns lachte. »Weißt du, Sepp«, sagte er, immer gemütlich, vertraulich, »Moral, Musik, deine Artikel, das ist alles schön und gut. Aber es sind bloß Zutaten. Wirksame Zutaten. Wenn Macht da ist, bereit, sich für die gute Sache einzusetzen, und man gibt ihr noch dein Salz dazu, Moral, Kunst, deine Aufsätze, dann wird die Macht stärker, und die Moral gewinnt ihren Sinn. Aber Moral allein, Moral ohne Macht, ich sag es, wie es ist, das ist eine Sauce ohne Braten.« – »Und der Braten, das ist natürlich die Sowjetunion«, krähte höhnisch Sepp. »Ja«, sagte ruhig Hanns, »es ist die Sowjetunion. Ich denke, eine solche Verwertung der Moral ist das Gegebene, ist das einzig Praktische.« – »Verwertung« hatte er gesagt; er war mit sich zufrieden, daß er das so ehrlich einbekannt hatte; er wurde ganz rot vor Freude, daß es ihm geglückt war, Politik und Anstand zu verbinden.
Seine Ruhe verfehlte nicht ihren Eindruck auf Sepp, ja, sie nötigte ihm Respekt ab. Er erkannte, Hanns ist kein Lausbub, der sich einfach aus Widerspruchsgeist gegen die Autorität des Vaters aufmandelt. Was er sagt, ist nicht aus derLaune der Debatte entstanden, es ist überlegt, langsam herangereift. Der ganze Hanns hat etwas über seine Jahre hinaus »Wohltemperiertes«.
Sepp sitzt wieder in dem Wachstuchsessel, raucht, schweigt, weiß nicht recht, was er antworten soll. Er ist froh, daß schließlich Anna zu sprechen anfängt.
Anna hat zuerst, als die Debatte zwischen den beiden losging, nicht recht hingehört. Sie hat einen bewegten Tag hinter sich und ist müde. Sie hat sich auf diesen Geburtstag Hannsens gefreut und hat es für ein gutes Zeichen genommen, daß noch die angenehme Nachricht aus der Schweiz dazukam. Aber dann, am Morgen, hat Sepp das teure Mikroskop angeschleppt, und wenn sie auch Hanns den Spaß von Herzen gönnt, es ist doch eine unerhörte Dummheit von Sepp, ein sträflicher Leichtsinn; die Ausgabe für das Mikroskop schwemmt weg, was Sepp in den letzten Wochen durch seine Anstellung an Mehrverdienst hätte nach Hause bringen können. Auf der Fahrt zu Doktor Wohlgemuth hat sie sich dann überlegt, wie sie es in den nächsten Wochen halten soll. Der Mehrverdienst Sepps macht den Braten auch nicht fett. Es hat keinen Sinn, die Augen davor zu verschließen, daß es wirtschaftlich schnell bergab geht, daß man den Standard ständig hinunterschrauben muß. Das bißchen, was man an Kleidern, Wäsche und kleinem Hausrat aus Deutschland hat retten können, braucht sich ab, und Neuanschaffungen kann man sich nicht leisten. Es ist schon ein ewiges Gefrette, das Jonglieren mit den paar Franken. An das Reitpferd, das sie sich in München geleistet hat, an Hannsens Segelboot und dergleichen will sie erst gar nicht denken, doch man muß auch auf vieles andere verzichten, was man nie geglaubt hat entbehren zu können. Sie ist ordentlich, sie leidet darunter, daß es ihr an Zeit fehlt, die kleinen Dinge so sauber zu besorgen, wie sie gern möchte. Die Schreibmaschine ist noch immer nicht repariert, die Walze ist so abgewetzt, daß man sie kaum mehr brauchen kann. Mit Frau Chaix, der Bedienerin, gibt es auch egal Verdruß. Die junge, schlampige Frau hat nach wie vornichts im Kopf als ihre Kerle, in allen Winkeln findet man Schmutz, sie schüttet immer noch die neue Milch zur alten. Anna lacht über die Beharrlichkeit, mit der sie das tut, aber eigentlich ist es nicht zum Lachen. Und mit Elli Fränkel ist es natürlich so gegangen, wie Anna gefürchtet hat. Wohlgemuth ärgert sich Tag um Tag über Elli, Elli hat Weinkrämpfe, und beide suchen sie die Schuld in ihr, in Anna, und ihr, Anna, machen sie die
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